Systemdenken im MINT Unterricht: Regelprozesse

In mehreren meiner Beiträge habe ich mich zu dem Thema „Denken in Systemen“ geäußert. Die Arbeitsgebiete der Oberstufe in unseren Schulen, vor allem in den Fächer Mathematik (Analysis) und Physik, sind eine wesentliche Grundlage für das Verständnis von Systemen.

Meine Forderung, „eindimensionales“ durch „mehrdimensionales“ Denken zu ersetzen, hatte ich am Beispiel von geregelten Prozessen versucht zu erklären. Dabei ging es darum, eine vielschichtig strukturierte Systemorganisation in ihrer Gesamtheit zu verstehen. An anderer Stelle hatte ich vorgeschlagen, im Physikunterricht – zum Beispiel im Rahmen eines übergreifenden Verbundprojektes (Physik / Mathematik) – Struktur und Eigenschaften des sogenannten „Einfach – Geschlossenen – Regelkreises“ zu untersuchen (siehe Kurzbeiträge vom November 2010). Auf diesen Vorschlag möchte ich im Rahmen dieses Beitrages zurück kommen, wobei ich einen Teilaspekt herausgreifen will.

Der „Einfach – Geschlossenene – Regelkreis“ bildet die Grundstruktur eines jeden geregelten Prozesses. Er besteht aus den folgenden Teilsystemen:

  1. Der Regler: In der Eingangsstufe des Reglers wird das Signal für die Führung des Prozesses (Führungsgröße / Sollwert) mit dem jeweils aktuellen Wert der zu regelnden Prozessgröße (Regelgröße / Istwert) verglichen. Der Regler bildet daraus die zur selbsttätigen Korrektur des Prozessverhaltens notwendige Regelabweichung.
  2. Das Stellglied: Über das Stellgliedes (zum Beispiel ein Warmwasserventil bei einer Raumheizung) leitet die Regelabweichung die selbsttätige Korrektur der Prozessgröße im Sinne des geforderten Regelzieles ein.
  3. Die Regelstrecke (Prozesstrecke): Die Regelstrecke ist der Anlagenteil (beispielsweise bei einer geregelten Ladeölpumpe der Antriebsmotor mit der Pumpe), dessen charakteristische Anlagengröße (im Beispiel die Pumpendrehzahl) geregelt werden soll.
  4. Die Messwerterfassung: Regeln heißt Messen und Vergleichen. Daher muss die Regelgröße (Prozessgröße) im Prozess aktuell erfasst und auf den Eingang des Reglers zurückgeführt werden.

In früheren Beiträgen haben wir bereits ausgeführt, dass derartige Prozesse durch ein System von Differentialgleichungen beschrieben werden. Die Prozessgröße ist eine Funktion der Zeit, sie ist insbesondere auch schwingungsfähig. Dieses Verhalten ist verständlicherweise unerwünscht. Für die Stabilität des Regelkreises ist vor allem der Regler mit seinem Zeitverhalten und den entsprechenden Parametern zuständig. Aus Sicht der Analysis ist der Regler ein „Sahnestück“ des Prozesses. Zur Optimierung des Prozessverhaltens stehen grundsätzlich die folgenden Reglerarten zur Verfügung:

  • (1) Proportionalregler (P-Regler): Das Ausgangssignal u(t) ist gleich der Regelabweichung e(t) multipliziert mit einer Konstanten Kp:

  • (2) Integrierender Regler (I-Regler): Das Ausgangssignal u(t) ist gleich dem Integral der Regelabweichung e(t):

  • (3) Differenzierender Regler (D-Verhalten): Das Ausgangssignal u(t) ist gleich der ersten Ableitung der Regelabweichung e(t):

  • (4) Proportional-Integral-Differential-Regler (PID-Regler): Das Ausgangssignal u(t) summiert hinsichtlich der Regelabweichung e(t) die Eigenschaften der Reglerversionen P, I und D:

Die Eigenschaften des Prozesses in seiner Gesamtheit bestimmen, welche Reglerart optimales Prozessverhalten gewährleistet. Als Beurteilungskriterium für die Qualität des Regelverhaltens gilt der zeitliche Verlauf der Regelgröße als Reaktion auf einen Sprung der Führungsgröße (Sprungantwort). Die Regelgröße eines Prozesses, dessen Regler PID -Verhalten hat (siehe Variante 4), reagiert auf eine sprungartige Erhöhung der Führungsgröße (Sollwert) qualitativ wie folgt:

Wegen des differenzierenden Anteils wird das Regelziel sehr schnell mit mehr oder weniger heftigem Überschwingen erreicht.
Anschließend klingt die Regelgröße – vorwiegend wegen des integralen Anteils – gedämpft gegebenenfalls über mehrere Perioden schwingend auf den gewünschten Endwert ab.

Dass man das Übergangsverhalten von Regelkreisen auch fühlen kann, erlebe ich beim Duschen nach einem erholsamen Saunagang. Ohne mich mit Einzelheiten der Technik von Reglern in Duschbatterien befasst zu haben, konnte ich jedoch den Informationen hierzu im Internet entnehmen, dass es durchaus geregelte Duschsysteme – also solche mit Rückführung der Regelgröße – gibt.

Wenn ich meinem Empfinden bei derartigen Duschbädern trauen kann, dann hat der Regler in meinem Falle ein stark ausgeprägtes PID – Verhalten. Beginne ich – erhitzt vom Saunagang – zunächst vorsichtig mit warmem Wasser, um dann in Richtung Abkühlung zu stellen, wird das Wasser blitzartig „saukalt“. Danach pendelt es in mehreren Perioden mit abnehmender Kaltkomponente auf einen körperverträglichen Wert ein.

Bei ausgedehntem Training könnte man auf dieser Basis vielleicht einen Beitrag zu „Wetten dass“ entwickeln: „Der Kandidat errät Reglerauslegungen beim Duschen“.

(Schreibweise der Gleichungen zum Reglerverhalten siehe WIKIPEDIA „Regler“; Lizenz: Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Unported – Deed)

Veröffentlicht von

Hensel

Prof. Dr. Wilfried Hensel, TU Berlin. 30 Jahre naturwissenschaftliche Lehrerfahrung

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