Ausbildungs-Nachhilfe: Nachhilfe in Systemdenken

Fachübergreifendes Denken und Handeln, Systemdenken, als Ziel zukunftsorientierter Schule und Ausbildung

Prozesse beziehungsweise Systeme – zwei verschiedene Worte, die im Wesentlichen das Gleiche bedeuten – spielen eine große Rolle sowohl in der Natur als auch in praktisch allen Bereichen unseres Lebens. Wenn wir beispielsweise an natürliche Prozesse denken, dann fallen uns gewiss die außerordentlich komplexen Systeme des Nahrungsmittelflusses ein, die zur Ernährung und Erhaltung vieler Arten von Tieren und Pflanzen unabdingbar sind.

Auch in unserem Körper wirkt eine Vielzahl sehr komplizierter Prozesse – sei es der Stoffwechsel, der Blut– und Sauerstoffkreislauf, die Funktion des Gehirnes und viele andere mehr – von denen unsere Gesundheit und unser Wohlergehen im entscheidenden Maße abhängen.

Bei dem Entwurf und der Gestaltung von Prozessen, die der Mensch geschaffen hat, konnte er demnach viel von der Natur lernen. Es gibt praktisch keinen Bereich des menschlichen Lebens – sei es in der Technik, in der Wirtschaft oder in der Medizin, um nur einige zu nennen – in dem wir nicht von der einwandfreien Funktion lebenswichtiger Prozesse abhängig sind. Eine wesentliche Eigenschaft ist allen diesen Prozessen gemeinsam:

Um das Prozessziel / Ergebnis entsprechend den Vorgaben der Prozessführung gesichert zu erreichen, bedarf es des gesteuerten Informationsaustausches, der zielorientierten Kommunikation einer meist unvorstellbar großen Zahl von Signalen und Einflussgrößen.
Das Kernstück eines jeden Prozesses oder Systems ist die Prozessregelung. Die Regeleinrichtung ist die anspruchsvollere Variante im Vergleich zur Steuerung. Das Wesentliche soll am Beispiel eines Kühlprozesses zusammengefasst werden:

Das gewünschte Temperaturprofil für das Kühlgut wird von der Prozessführung vorgegeben, die Kühlanlage reagiert entsprechend. Zu jedem Zeitpunkt wird das erreichte Temperaturprofil gemessen, die aktuellen Messwerte werden der Prozessregelung zurückgemeldet. Diese vergleicht das Erreichte mit dem Vorgegebenen und korrigiert bei Abweichungen nach oben oder nach unten selbsttätig durch entsprechende Führung der Kühlanlage. Dabei werden auch Störgrößen berücksichtigt. Prozessregelung ist also – im Gegensatz zur Steuerung – ein in sich geschlossenes System, bei dem das aktuell erreichte Prozessziel ständig durch meist aufwendige Messtechnik erfasst und optimiert wird.

Bei dem Entwurf, der Ausführung, dem Betrieb und der Wartung von derartigen Prozessen wirkt eine Vielzahl von Experten unterschiedlicher Wissensgebiete mit. Das Verständnis der Struktur und der komplexen Funktionsweise von Prozessen / Systemen erfordert aber von diesen Allen übergeordnet eine besondere Fähigkeit, nämlich das Denken in Systemen, oder kurz das Systemdenken. Es genügt demnach nicht, in einem bestimmten Teilbereich der Prozesstechnik gute Fachkenntnisse zu haben. Was von allen gefordert wird:

Die Fähigkeit zu erkennen, welche Auswirkungen eine Maßnahme, ein Fehlverhalten, ein Defekt in einem Teilbereich auf die Funktion des ganzen Prozesses hat. „Eindimensionales“ Verständnis genügt nicht; es wird zwingend „mehr-dimensionales“ Denken gefordert.

Die menschliche Gesellschaft ist bereits heute in erheblichem Ausmaße durch Prozesse und Systeme geprägt. Alle Zeichen sprechen dafür, dass diese Tatsache in Zukunft zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Daher wird unzweifelhaft derjenige die „besseren Karten“ haben, der die Fähigkeit zum Systemdenken beherrscht.

Systemdenken ist ein „über den Tellerrand“ einer Unterstruktur in einem System weit hinausgehendes, ganzheitliches Verständnis der Systemorganisation in ihrer Gesamtheit. Dabei ist es notwendig, die Ursachen und Wirkungen in ihren Abhängigkeiten in beiden Richtungen, nämlich in der Blickrichtung vom Teilsystem auf das Ganze und umgekehrt, erkennen und beeinflussen zu können.

Um dahin zu kommen, muss Systemdenken erlernt werden, angeboren ist es eher seltener. Hier haben unsere Ausbildungseinrichtungen, Schulen, Fachschulen, Hochschulen und Universitäten eine wichtige Zukunftsaufgabe. Diese ist zweifellos interdisziplinär.

Die gesamte Palette der Naturwissenschaften, der MINT-Fächer, wie sie im Mittel- und Oberstufenbereich unserer Schulen vertreten sind, spielen hierbei sicherlich eine zentrale Rolle. Jedoch wird das Bemühen um Systemdenken übergreifend gegebenenfalls auch andere systemrelevante Disziplinen, wie zum Beispiel wirtschaftliche, medizinische und politische Aspekte sowie – ganz wesentlich – auch den Bereich der Sprachen, mit einbeziehen müssen.

Umfassendes Systemdenken in Schule und Ausbildung ist also zukünftig mehr denn je gefragt.

Veröffentlicht von

Hensel

Prof. Dr. Wilfried Hensel, TU Berlin. 30 Jahre naturwissenschaftliche Lehrerfahrung

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