Heilsbringer Ganztagsschule?

Die Ganz­tag­schule wird als Schule der Zukunft bezeichnet.

Seit der Veröffentlichung der neuesten Bertelsmann-Studie „Chancen-Spiegel“ ist das Thema Bildungsgerechtigkeit wieder in allen Medien.

Der Chancenspiegel bewertet die Ganztagsschule als Positivindikator zur Integration und bemängelt auf S. 13 seiner Zusammenfassung: „Die deutschen Schulsysteme integrieren Schüler zu wenig, bezogen auf die Teilnahme am Regelschulsystem und an Ganztagsschulen.“

Offensichtlich werden Ganztagsschulen als ein wichtiger Faktor zur Herstellung einer „Bildungsgerechtigkeit“ angesehen, auch im neuesten Artikel der SZ zur derselben Thematik. Die Bertelsmann-Studie benennt auf S. 48 die hehere gesellschaftliche Zielsetzung der Schulform Ganztagsschule:

„Gerade angesichts des zugeschriebenen Potenzials, sich um den Ausgleich schwacher sozialer Herkunftsbedingungen von Kindern und Jugendlichen zu bemühen, werden Ganztagsschulen hier verstanden als ein Instrument zur Herstellung von mehr Chancengerechtigkeit.“ Passend hierzu auch ein Blogbeitrag auf dem Bertelsmann-eigenen Blog:

„…immer wie­der die For­de­rung nach einer gebun­de­nen Ganz­tags­schule. Die Ganz­tags­schule als eine gute Mög­lich­keit fami­liäre Betreu­ungs– und Erzie­hungs­de­fi­zite zu kom­pen­sie­ren und damit allen Kindern und Jugend­li­chen die glei­che Chance auf Bil­dung zur gewähr­leis­ten, stand dabei im Vor­der­grund. Mit Blick auf die Migra­ti­ons­frage, scheint die Ganz­tags­schule auch den Her­aus­for­de­run­gen von Schule in der Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft gerecht zu wer­den. Spre­chen Eltern zu Hause beispielsweise kein Deutsch, so kann die­ses Defi­zit aus­ge­gli­chen werden, indem Kin­der in der Ganz­tags­schule mehr Zeit mit deutsch­spra­chi­gen Mit­schü­lern und Lehr­kräf­ten ver­brin­gen…“

Ganztagsschul-Angebote sollen also offensichtlich primär Schülern und Familien mit sozio-kulturellen Disparitäten zugute kommen: Schülern aus sozial schwächeren Familien und / oder Schülern mit Migrationshintergrund. Nutzen denn diese „Schüler-Zielgruppen“ denn auch die für viel Geld vom Staat und den Ländern bereitgestellten Angebote? Aus der StEG-Langzeit-Studie „Gesamtschule“ wissen wir, dass der Nutzungsbedarf ab der Sek. I mit den Schuljahren kontinuierlich abnimmt. Gerade die ersten KiTa- und Schuljahre sind ja auch für den Erwerb von Sprach- und Sozialkompetenzen von entscheidender Bedeutung.

Nutzt denn nun die „Zielgruppe“ die Ganztagsschule? Nur bedingt: Das einzige Cluster, dass scheinbar signifikant erreicht wird, ist die Gruppe der alleinerziehenden Mütter. In erster Linie wird das Ganztagsschulangebot wohl von Doppelverdienern, Familien mit hohem Einkommen und auch weniger als erhofft von Schülern mit Migrationshintergrund wahrgenommen. Wir zitieren aus der heutigen Bildungs-Mitteilung des BMBF zur Ganztagsschule:

„Eine bedarfsgerechte Versorgung mit Ganztagsschulen, die Kindern Bildungs- und Entwicklungschancen auch in außerschulischen Bereichen bieten, unterstützt auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, besonders die Erwerbstätigkeit von Müttern. Die StEG untermauert diese arbeitsmarkt- und familienpolitische Bedeutung der Ganztagsschule, die besonders von Kindern erwerbstätiger Eltern und Alleinerziehender genutzt wird. 2009 nahmen an den Ganztagsangeboten in Grundschulen rund 80 Prozent der Kinder, deren Mütter in Vollzeit arbeiten, teil; bei Teilzeitbeschäftigung lag die Teilnahme immer noch bei knapp 67 Prozent. In der Grundschule nutzen Kinder aus Familien mit dem höchsten sozioökonomischen Status häufiger Ganztagsangebote als Kinder aus sozial weniger privilegierten Familien, Kinder mit Migrationshintergrund nehmen etwas weniger am Ganztag teil als Kinder ohne Migrationshintergrund.“ 😉

Auf Grund der Nutzungsstruktur ist die Ganztagsschule also nicht das, was defätistische und pädagogisch Rückwärtsgewandte ihr immer unterstellen wollten: Ein „Heimschläferinternat für Arme“… 😉

Den größten Vorteil der Ganztagsschule in Hamburg aus Schülersicht scheint ohnehin die Befreiung von Hausaufgaben zu sein, trotzdem wird in Hamburg das Ganztagsschulangebot massiv ausgeweitet und Schulen der Primarstufe sollen ab dem nächsten Schuljahr gegen eine kleine Gebühr die Aufbewahrung der Kinder gar bis 18:00 Uhr ermöglichen…

Die Links zum „Chancenspiegel“ für den Selbstleser: Chancengerechtigkeit

Veröffentlicht von

Dr. Kai Pöhlmann

Dr. Kai Pöhlmann ist Inhaber der ABACUS Nachhilfe Institute Hamburg und Kreis Pinneberg und Gründer des ersten ABACUS-Nachhilfeinstitutes nördlich der Isar. Google+

13 Gedanken zu „Heilsbringer Ganztagsschule?“

  1. Manche Eltern sind mit der Erziehung ihrer Nachkommen reichlich überfordert. Wenn die Freizeitangebote nicht mehr ausreichen um die Kinder nicht zu Hause ertragen zu müssen, bietet sich natürlich die Ganztagsschule an. Der Begriffe „Heimschläfer“ passt wirklich sehr gut. Ich bezweifel, dass die Abschiebementalität uns wirklich gesellschaftlich weiter bringt. Vielleicht wären Hilfsangebote zur Erziehung mit entsprechenden Anreizen langfristig hilfreicher?

  2. Sehr passend hierzu das Interview mit Holger Strohm

    Frage: Warum ist in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern nicht bekannt, dass Sie als Vordenker des effektivsten und menschlichsten Schulsystems der Welt gelten?

    HOLGER STROHM: Auch in diesem Land ist dies einigen Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten bekannt. Aber anscheinend dürfen sie nicht darüber schreiben. Ich vermute, dass dieses Land keine besseren Schulen will.

    Frage: Wäre das nicht unlogisch?

    HOLGER STROHM: Durchaus nicht. Nur ein dummes Volk kann leicht regiert werden. Deutschland entwickelt sich immer mehr zur Verblödungsdiktatur und dahinter steckt eine Absicht. Denn Schule hat eigentlich noch nie dazu gedient, Menschen klüger zu machen, sondern um ihnen Zucht und Ordnung beizubringen. Das ist eine uralte Tradition getreu dem Motto von Menander (342 – 291 v. Chr.): „Wer nicht geschunden wird, wird nicht erzogen!“ Und schon 66 n. Chr. stellte Gaius Potromos fest: „Und deshalb meine ich, dass unsere jungen Leute in der Schule ganz und gar verdummt werden. Von der Wirklichkeit sehen und hören sie dort nichts.“

    Frage: Ist diese Entwicklung auch in Portugal zu beobachten?

    HOLGER STROHM: Grundsätzlich führt die Mediengesellschaft gezielt zur Verdummung – weltweit. Dennoch bestehen gewisse Unterschiede von Land zu Land. Viele meiner portugiesischen Nachbarn können nicht lesen und schreiben, da sie nicht zur Schule gegangen sind, aber sie können denken. In Deutschland können fast alle lesen, schreiben und rechnen, aber kaum einer kann noch denken.

    Frage: Woran liegt das?

    HOLGER STROHM: An einer ganz geschickten Manipulation in Schulen, Universitäten, Medien und Umwelt. Wenn kleine Kinder, deren Gehirne noch plastisch verformbar sind, schon von früh an auf lernen, dass kritisches Denken nicht erwünscht ist und nur zu Schwierigkeiten wie z.B. zu schlechten Noten führt, dann lassen sie es, und die zuständigen Gehirnareale für das kritische Denken und beispielsweise für die Selbstständigkeit veröden. Nach einem gewissen Zeitraum ist dieser Prozess abgeschlossen und dieser betreffende Mensch ist dann nicht mehr oder nur begrenzt zum kritischen Denken und selbstständigen Handeln in der Lage. Und genau dies ist meines Erachtens erwünscht. Denn nur dumme Menschen lassen sich leicht unterdrücken und ausrauben.

    Frage: Was für organisatorische Voraussetzungen sind zu einem effektiven Lernen notwendig?

    HOLGER STROHM: Auf jeden Fall, dass endlich einmal demokratische Zustände in portugiesischen und deutschen Schulen eingeführt werden. Schule erhebt zwar den Anspruch zur Demokratie zu erziehen, aber das Gegenteil ist der Fall. Weder Eltern, noch Schüler haben ein wirkliches Mitspracherecht. Die „Zeit“ stellte am 20. Oktober 2005 (S.41) fest: „Der wirkliche Einfluss der Eltern in der Schule tendiert gegen null… Unsere Kinder sind der Schule ausgeliefert… Wenn man etwas in der Schule kritisiert, bekommt es am Ende immer das eigene Kind zu spüren.“ In den erfolgreichen Pisa-Ländern ist das anders. In Skandinavien haben die Eltern nicht nur das Recht über alle schulischen Dinge wirklich mitzubestimmen, sondern sie dürfen schon beim Bau einer neuen Schule ihre Ideen mit einbringen. In Neuseeland und beispielsweise in der Schweiz muss die Einstellung eines Lehrers bzw. die Verlängerung seines Vertrages von den Eltern bestätigt werden. So haben unfähige, sadistische Lehrer im Gegensatz zu Portugal und Deutschland keine Chance, weiter Schüler zu quälen. Deutschland ist auch schulmäßig gesehen keine Demokratie. Im Gegenteil! Der Philosoph Samuel Hilf stellte schon vor Jahren fest:
    „Die deutsche Schule ist das letzte Bollwerk des Nationalsozialismus!“

    Frage: Was sollte man mit gewalttätigen Lehrern, die Schüler quälen, machen?

    HOLGER STROHM: Auf jeden Fall aus dem Schuldienst entfernen. In Deutschland geschieht das nicht. Dort ist wie in Portugal die Lehrergewalt gegenüber hilflosen Schülern schon fast Staatsräson. Und selbst bei ernsten Verstößen gegen alle pädagogischen und strafrechtlichen Normen decken Schulbehörden, Gerichte, Presse und Gesellschaft in aller Regel gewalttätige Lehrer. Dies bringt die Lernmotivation der Schüler nicht nur auf Null, sondern führt zudem zu einem „Kreislauf der Gewalt“.

    Frage: Was für weitere Maßnahmen wären notwendig?

    HOLGER STROHM: Schulbehörden sollten ihren Schulen eine größere Eigenständigkeit ermöglichen und nicht jedem pädagogischem Abweichler mit Misstrauen betrachten. Holland hat bewiesen, dass dies möglich ist, ohne dass Schulanarchie ausbricht. Welcher ideologischen, weltanschaulichen, wirtschaftlichen oder pädagogischen Anschauung man folgt, das ist in Holland Angelegenheit der Schulleitung, des Kollegiums und der Eltern. Ein weiteres Probleme ist die desolate Lehrerausbildung und Fortbildung. Sie ist zu starr, zu wissenschaftlich und zu praxisfern. Mehr Lernpsychologie, Neurodidaktik und Sozialpädagogik sind erforderlich. Außerdem sollten Pädagogikstudenten früh mit der Praxis vertraut werden. Für Lehrer sollte eine ständige Weiterbildung eingeführt werden. Holland ist auch auf diesem Gebiet vorbildlich. Dort kommt die Fortbildung in das Klassenzimmer und erarbeitet zusammen mit den Lehrern und Schülern neue und bessere Unterrichtsmethoden.

    Frage: Benötigen wir nicht auch kleinere Klassen und mehr Lehrer?

    HOLGER STROHM: Ja: Umso kleiner Schulen und Klassen sind, umso besser. In schulischen Massenfabriken verlieren Schüler die Orientierung und fühlen sich unwohl. Mit kleineren Schulen vor Ort werden außerdem lange Anfahrten erspart. In Finnland haben fast die Hälfte der Schulen weniger als 50 Kinder und jedes Kind wird individuell betreut. Schweden teilt größere Schulen in kleinere Einheiten auf, damit das Soziale und Persönliche nicht leidet. Alle Schüler bleiben bis zur neunten Klasse zusammen und werden nicht getrennt. Auf 15 Kinder kommen zwei Pädagogen, hinzukommt ein Team aus Psychologen, Sozialarbeitern und Assistenten, die gezielt einzelne Kinder fördern. Der Unterricht erfolgt als Projektunterricht und die Schüler entscheiden selbst was und wie sie lernen. Lehrer arbeiten in Teams, die jeweils Klassen mehrerer Jahrgänge durchgängig begleiten. Lernen geschieht in sozialen Bezügen und nicht in Konkurrenz. Ein Sitzenbleiben gibt es gar nicht und Noten werden erst ab der neunten Klasse vergeben. Schüler mit Lernproblemen oder Behinderungen werden gezielt und individuell gefördert.

    Frage: Führt das nicht zu einem Leistungsabfall?

    HOLGER STROHM: Im Gegenteil! Die skandinavischen Schulen führen nicht nur drei Viertel aller Schüler zur Hochschulreife, sondern erzielen auch bessere Spitzenleistungen als alle anderen Länder in der Welt. Außerdem werden die Skandinavier dadurch gute Demokraten, deren Gesellschaften besser funktionieren und menschlicher sind. So bekunden z.B. Dänemarks Bürger zu 80 Prozent, dass sie glücklich in ihrem Lande sind und bescheinigen ihrem Lande die höchste Lebensqualität der Welt. In Portugal und insbesondere in Deutschland ist das Gegenteil der Fall. In Umfragen klagten 80 Prozent der Deutschen darüber, dass sie unglücklich sind. Sie fürchten den Verlust des Arbeitsplatzes, der sozialen Stellung, des Partners usw. Sie fühlen sich gemoppt, hilflos und anonymen Mächten ausgeliefert. In Deutschland und Portugal machen drei Mal so viele Menschen Selbstmord, als bei Verkehrsunfällen umkommen.

    Frage: Was für ein Lernklima herrscht in skandinavischen Schulen?

    HOLGER STROHM: Die Beziehung zwischen Schülern und Lehrern sind offen und von Sympathie geprägt. Man muss seine Schüler mögen. Das ist die Basis, darauf baut alles andere auf. Deswegen duzen sich Schüler und Lehrer. In Schweden und Finnland sind die meisten Lehrer gute Freunde der Schüler, die ihnen helfen ihren eigenen Weg zum Lernen zu finden. Während in den skandinavischen Ländern alles getan wird, um die Rahmenbedingungen für ein besseres Lernen zu fördern und damit Kinder sich Wohlfühlen, wird in Deutschland verbissen das Gegenteil getan. Oft sind die Lehrer die schlimmsten Feinde der Schüler und das Kinderschinden gilt als wünschenswert und pädagogisch. Entsprechend groß sind der Hass deutscher Schüler auf die Schule und der daraus resultierende Vandalismus. Im Gegensatz zu skandinavischen Schulen, dort ist alles sauber, ruhig und mutwillige Zerstörung ist unbekannt.

    Frage: Und wie müssen Gesellschaft und Schulen aussehen, die ihre Bürger zur Intelligenz, Weisheit und zum demokratischen Handeln befähigen?

    HOLGER STROHM: Das Lesen ist die Voraussetzung allen Lernens und um die Sprache zu beherrschen. Die optimale Phase für den Spracherwerb liegt zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr. In dieser Zeit reifen bestimmte Teile des Gehirns besonders schnell und sind leicht verformbar und daher lernen Kinder mühelos mehrere Sprachen, wenn sie von geliebten Bezugspersonen vermittelt werden. Danach schließt sich das Zeitfenster langsam, mit zehn Jahren ist es zu. Allerdings lernen Kinder nur ganzheitlich und spielerisch. Sie tauchen vollkommen in die Sprache ein und entwickeln eine Zwischensprache, die nach und nach verfeinert wird. In diesem Zeitraum lieben Kinder es, wenn ihnen eine geliebte Person spannende Geschichten vorliest. Spätestens nach dem dritten Mal können sie die Geschichte auswendig, samt allen grammatikalischen Strukturen. In den Schulen fängt der Spracherwerb viel zu spät an und zusätzlich geschieht das mit völlig falschen Methoden. Vokabeln und sture grammatikalische Regeln auswendig zu lernen sind zum einen der falsche Weg und zum anderen machen sie aus der Lust eine Mühsal, so dass das Lernen zwangsläufig scheitern muss.

    Frage: Und sind das schon alle Maßnahmen?

    HOLGER STROHM: Nein, keinesfalls. Kinder müssen immer in Bewegung bleiben beim Lernen. Der starre Sitzzwang in Schulen tötet die Intelligenz. In Schweden dürfen sich die Kinder jederzeit bewegen. Einige laufen auf Laufbändern oder strampeln auf stationären Fahrrädern beim Lernen. Schüler können sich testen lassen, zu welchem der über hundert verschiedenen Lerntypen sie gehören. Der eine will lieber still sitzen, der andere lernt im Gespräch. Ob sie effektiver bei Musik oder im Halbdunklen lernen, ob sie sich bewegen müssen, ob sie allein oder in Gruppen lernen wollen, das entscheidet letztendlich der Schüler selbst. Auch dürfen sie sich die Lehrer aussuchen, von denen sie angeleitet werden. Hinzu kommt, dass sie zum Lesen und zum Musizieren angeregt werden. Musizieren trainiert das Gehirn wie kaum eine andere Disziplin, da bei ihm beide Gehirnhälften zusammen arbeiten müssen und somit intensiver verknüpft werden. Allein wenn musikalische Menschen Klänge hören, so werden die Nervenzellen der Bewegungsregion aktiv. Und spielen die Finger die Tasten auf einem stummen Klavier, so hört die Hörregion im Gehirn die Melodie. Nichts fördert die Intelligenz mehr als musizieren und Feinmotorik.

    Frage: Sind Lehrer zum Lernen überhaupt notwendig?

    HOLGER STROHM: Nein, man kann aber auf sie als Lernbetreuer und Organisatoren nicht verzichten. Grundsätzlich aber gilt: Schüler sollten immer Schüler unterrichten. Das entspricht dem evolutionären Urmodell. Kinder haben schon immer von Ihresgleichen am meisten und effektivsten gelernt. Der gute Schüler lernt durch das Erklären und Unterrichten und der schlechte Schüler dadurch, das ihm ein Freund Sachverhalte spielerisch und kindgerecht vermittelt. In der Schweiz mussten in einigen Kantonen wegen Geldproblemen die Kinder sich selbst unterrichten. Das Ergebnis: Ihr Lernzuwachs war größer, als wenn sie von Lehrern unterrichtet wurden.

    Frage: Können Sie abschließend noch etwas Grundsätzliches über die Bildung sagen und woher man weitere Informationen erhalten kann.

    HOLGER STROHM: Ein effektiver Lernprozess ist nur möglich, wenn eine kritische Erziehung stattfindet, die die neurobiologischen Erkenntnisse des Lernens berücksichtigt und in Gesamtzusammenhängen Wissen motivierend vermittelt. Wir brauchen Schulen, die Spaß machen und in denen Schüler lernen zu lernen. Wir brauchen eine menschliche Schule der Zukunft, des freiwilligen, lebenslangen, genussvollen Lernens. Dabei müssen die Entfaltung und Eigenorganisation der Persönlichkeit im Vordergrund stehen. Denn Denken und Lernen kann man nur selbst. Wissen im Gehirn zu verankern, ist ein hierarchischer Einordnungsprozess – vom Wichtigen zum Unwichtigen. Nur, wenn Lernen Spaß macht und wenn gleichzeitig der Lerninhalt Sinn macht, speichert das Gehirn im Langzeitgedächtnis ab und belohnt den Eigner mit Glücksgefühlen. Die Entscheidungen hierfür trifft das jeweilige Gehirn und nicht die Schulbehörde. Von daher macht die herkömmliche, autoritäre und unmenschliche Schule überhaupt keinen Sinn. Sie ist überholt. Sie muss abgeschafft werden und durch eine völlig neu konzipierte ersetzt werden!

    Frage: Und welche Literatur bietet uns darüber weitere Informationen an?

    HOLGER STROHM: Die Literatur ist völlig überaltet, nicht auf dem neuesten Stand. Meines Wissens existiert auf diesem Gebiet nichts Vernünftiges.

    Frage: Und warum schreiben Sie darüber kein Buch?

    HOLGER STROHM: Ich habe viele Bücher über dieses Thema geschrieben. Aber kein Verlag getraut sich mehr, Bücher von mir zu veröffentlichen. Ich habe drei Doktorarbeiten zum Thema Lehrergewalt und schulisches Lernen geschrieben. Einmal wurden sie als unwissenschaftlich, das nächste Mal als zu wissenschaftlich abgelehnt, dann ging sie verloren. Seit Jahren wird alles verzögert. Offensichtlich möchte man nicht, dass das Ausmaß der verfassungsfeindlichen, kriminellen Lehrergewalt zu früh bekannt wird. Und so lange das Ganze Prozedere nicht abgeschlossen ist, darf die Arbeit nicht veröffentlicht werden.

    Frage: Warum veröffentlichen Sie eigene Bücher zu diesem Thema nicht in einem Eigenverlag?

    HOLGER STROHM: Auch das habe ich versucht. Aber da auch die Buchvertriebe und Buchläden bei der Zensur nur zu gerne mitspielen, ist der Vertrieb äußerst schwer. Hinzu kommt die Vorausfinanzierung und da ich seit Jahren keine Bücher mehr veröffentlichen durfte, ist die Kasse leer.
    Ich kann Ihnen die ganze Absurdität an einem Beispiel darstellen: Meine Söhne haben im Alter von acht und neun Jahren eine wahre und ergreifende Geschichte über den Enterich Plumps und seinen Abenteuern geschrieben – in Portugiesisch, Englisch und Deutsch. Es ist ein völlig unpolitisches Schulbuch neuen Typs, ideal um das Interesse an Sprachen schon früh bei Kindern zu erwecken. Das Buch wurde in Form von Fotokopien an allen Schultypen Portugals mit großem Erfolg eingesetzt. Sogar die EU-Kommission hat Interesse bekundet, das Buch in zwanzig Sprachen zu übersetzen und in den einzelnen Mitgliedsländern einzusetzen. Ein großer deutscher Schulbuchverlag wollte das Buch herausbringen. Sie bekamen von den Schulbehörden keine Genehmigung. Auch anderen großen Verlagen habe ich es angeboten. Sie lehnten mit der üblichen Begründung ab, es passe nicht in ihr Verlagsprogramm.

    Frage: Aber das war nicht der wahre Grund?

    HOLGER STROHM: Nein. In einem Telefongespräch sagte man mir den wahren Grund. Man hätte Angst die Existenz des Verlages zu gefährden, indem man ein Buch veröffentlicht, auf dem der Nachnahme eines Staatsfeindes steht!

    Holger Strohm studierte -nach einem Berufsverbot in Deutschland als Industrie- und Wirtschaftsberater- ab 1972 Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Gleichzeitig gab er Pro-, Mittel- und Hauptseminare in politischer Ökologie der Berufsschuldidaktik.
    Zudem ist Er träger des Bundesverdienstordens und Preisträger der internationanlen
    Umweltschutzmedaille.
    Bereits in den 70´er Jahren entwickelte er für den damaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olaf Palme das Konzept einer neuen skandinavischen Schule.
    Der vorherige Schulminister und damalige schwedische Ministerpräsident Olof Palme – der mit der schwedischen Schule unzufrieden war, bat ihm ein revolutionäres Konzept für „den nya svenska skolan“ (die neue schwedische Schule) zu entwickeln.
    Seine Vorschläge -für eine Schule ohne Angst, ohne Zensuren, ohne Sitzen bleiben, in der Schüler selber bestimmen, wie und was sie lernen- galt damals als nicht verwirklichbare Utopie. Doch Olof Palme war von den intellektuellen Fähigkeiten Strohms beeindruckt und von der Richtigkeit der Vorschläge überzeugt. Da ihn das schwedische Volk mit einer absoluten Mehrheit versehen hatte, besaß er die Machtmittel, die Entwicklung für die neue schwedische Schule voranzutreiben.
    Strohm ließ, in Zusammenarbeit mit den anderen skandinavischen Ländern, neue Konzepte erproben und weiter entwickeln. Seitdem wurde die skandinavische Schule zum führenden Schulsystem der Welt, das sich als selbst lernendes System auch heute noch ständig weiter entwickelt.

    Das Interview habe ich bei Die rote Pille geklaut…

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