Auf der Suche nach positiven MINT Signalen – immer noch

Gutes Zeugnis für Naturwissenschaften (?)

Auf der Suche nach positiven Signalen zur aktuellen Situation der Fachgebiete Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (kurz: MINT) in den Medien stößt der ABACUS-Nachhilfelehrer in MINT-Fächern auf einen Artikel in der Ausgabe des Hamburger Abendblattes vom 27. Januar 2016, der Hoffnung macht:

Unter der Überschrift „Gutes Zeugnis für Naturwissenschaften“ wird darüber berichtet, dass der Wissenschaftsrat (WR), das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in unseren Landen, die vier staatlichen Hamburger Hochschulen für ihre Leistungen in den MINT-Fächern lobt. Mit Blick hierauf wird Hamburg als Hochschulstandort vom WR sehr positiv beurteilt: „Beneidenswerte Hochschulregion – zukunftsweisende Forschungsschwerpunkte – internationale Strahlkraft“. Zu dieser positiven Einschätzung kommen die Sachverständigen des WR in ihrer 300 Seiten starken Analyse.

Im Rückblick auf das vergangene Schulhalbjahr, das zu Beginn des laufenden Monats seinen „krönenden“ Abschluss durch die Vergabe der Halbjahreszeugnisse erfahren hat, muss der Autor leider bekennen, dass die positive Situation im Bereich der Lehre und Forschung praktisch keine Ausstrahlung auf das Geschehen im Schulalltag hat.

Die langjährige intensive Betreuung und Begleitung von Schülerinnen und Schülern vor allem auf der Ebene der Oberstufe – teilweise parallellaufend in Physik und Mathematik – macht immer deutlicher, dass die Zusammenhänge zwischen den zu erarbeitenden Lerninhalten und Methoden einerseits und der Sinnhaftigkeit dieses Bemühens im Hinblick auf die Anwendungsfelder nicht erkannt werden.

Ein Beispiel hierzu:

Eines der Schwerpunktsthemen der Oberstufe ist die ANALYSIS. Hier werden die Schülerinnen und Schüler zunächst mit den Grundlagen der Differentialrechnung bekannt gemacht. Ziemlich zu Beginn dieser Bemühungen sind die Regeln zu erlernen, wie die erste und die weiteren Ableitungen einer Funktion f(x) zu bilden sind. Dabei werden zunächst die ganzrationalen Funktionen, die aus Potenzfunktionen der Form

f(x) = a * x hoch n

zusammengesetzt sind, behandelt. Die erste Ableitung einer Funktion f(x) wird mit f´(x), die zweite mit f´´(x) (für die weiteren gilt entsprechendes) gekennzeichnet. Der mathematische Ausdruck, mit dessen Hilfe die Ableitungen der vorgenannten Funktionsfamilie gebildet werden, ist vergleichsweise einfach strukturiert. Die meistens Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe – auch die schwächeren – kennen diese Vorschrift; entweder haben sie sie im Kopf oder sie wissen, wo sie sie finden können. Die damit ermittelten Ableitungsfunktionen sind auch recht häufig die richtigen. So weit so gut! Wenn ich mir erlaube, an dieser Stelle die Frage zu stellen, welche Eigenschaft der Ausgangsfunktion f(x) die zugehörige Ableitungsfunktion f´(x) beschreibt und wohin mich diese Übung denn nun bringt, gibt es in aller Regel keine sinnvolle Antwort.

Wesentlicher Bestandteil einer Funktionsanalyse (Standartaufgabe in der Oberstufe bis hin zum Abitur) ist die Bestimmung der Extremwerte der gegebenen Funktion. Die Schülerinnen und Schüler wissen in der Regel, dass sie die gesuchten x-Werte der Hoch- und Tiefpunkte der Funktion f(x) als Nullstellen der ersten Ableitung f´(x) ermitteln müssen, und häufig gelingt das dann auch.

Aber was ist mit dem „Warum“

Auch hier wird der Nachforschende selten eine brauchbare Antwort auf die Frage erhalten, warum man diese Rechenoperationen durchführen muss. Es zeigt sich immer häufiger, dass an dieser Stelle – und im Übrigen auch an vielen anderen – die Rechenregeln und Methoden der Bearbeitung mathematischer Aufgabenstellungen wie „Kochrezepte“ gehandhabt werden. Ernüchtern mag dabei auch die Tatsache gewertet werden, dass das Angebot einer Erklärung für das „Warum?“ häufig auf wenig Gegenliebe stößt. Hic iacet lepus in pipore – wie es im Küchenlatein so schön heißt.

Natürlich wird in den an den Schulen geführten Lehrbüchern bei Einführung in die Differentialrechnung gezeigt, dass die Ableitung f´(x) die Steigung der Funktion f(x), also die Steigung der Tangente an den Graphen der Funktion f(x) an jeder Stelle x darstellt (siehe hierzu auch meinen Beitrag vom Januar 2015).

Aber diese Schulbücher werden – obwohl vorhanden und auch in der Regel an die Schülerinnen und Schüler ausgegeben – von den Lehrern nicht benutzt. Stattdessen werden lose Aufgabenblätter, die zumeist aus dem Internet stammen, in den Unterrichtstunden verteilt…

Wenn es gut läuft, dann enthält der Zettelstoß auch ein Blatt, auf dem das Kochrezept – die magische Lösungsformel -, in der Regel auch ohne jede Erklärung, angegeben ist.

Eine systematische Vermittlung des Stoffes durch den Lehrer – basiert auf nachlesbaren Quellen (Schulbücher) -, also Frontalunterricht, findet – wenn überhaupt – auf „eigene Gefahr“ des Lehrers statt. Erwerb des notwendigen Wissens zur Bewältigung der Aufgaben ist in die individuelle (!) Verpflichtung der Schülerinnen beziehungsweise Schüler gestellt.

Wenn ich als ABACUS–Nachhilfelehrer in den MINT-Fächern über diese Situation nachdenke, stelle ich mir die Frage, warum im Lehr- und Lernbetrieb der Schulen die naturwissenschaftlichen Fächer – also vor allem Mathematik und Physik – nicht als eine Einheit betrachtet werden. Die pädagogische Aufgabe der Wissensvermittlung in diesen Fächer könnte dann als ganzheitlicher Ansatz wahrgenommen werden. Durch eine entsprechende inhaltliche und zeitliche Koordinierung der Unterrichtseinheiten in diesen Fächern könnte auf sehr anschauliche und begreifbare Weise deutlich gemacht werden, dass die Mathematik die verbindende Sprache zwischen diesen Disziplinen darstellt, die die Regeln und Methoden zur Handhabung der Aufgabenstellungen in den Naturwissenschaften zur Verfügung stellt.

In meinem Beitrag vom Januar 2015 hatte ich auf die Möglichkeit dieses fächerübergreifenden, ganzheitlichen Ansatz im Bereich der Mechanik bereits hingewiesen: Die Differentialrechnung in Ihrer sinnfälligen Anwendung könnte kaum plausibler dargestellt werden als bei der Behandlung der Weg-Zeit-Kurven, also mit den Zusammenhängen zwischen den Größen Weg s (t), Geschwindigkeit v (t) und der Beschleunigung a (t) als Funktionen der Zeit t.

Bei den Themengebieten „mechanische Schwingungen“ und „Wechselströme / -Spannungen“ wäre die Gelegenheit, auf einprägsame Weise den Nutzen der trigonometrischen Funktionen SINUS und COSINUS zu demonstrieren.

Eine bestimmende Größe im Feld des Elektromagnetismus ist die Lorentzkraft: Der Vektor der Geschwindigkeit des Stromflusses Q*v in den elektrischen Leitern eines Elektromotors und der Vektor des Magnetischen Induktion B im Luftspalt dieses Motors bilden über das Vektorprodukt die Lorentzkraft K, die am Umfang des Motorläufers angreift und das Drehmoment zur Folge hat, das den Motor antreibt. Um dieses Drehmoment aus der Kraft K und dem Hebelarm zu berechnen, benötigt man übrigens wiederum das Vektorprodukt. In diesem Kontext ließe sich anwendungsbezogen und anschaulich vermitteln, warum wir in der Vektorrechnung (Oberstufenstoff „Analytische Geometrie“) das etwas „unhandliche“, aber – wie gezeigt – äußerst nützliche Vektorprodukt kennen und anwenden lernen.

Es fällt jedoch allzu deutlich ins Auge, dass dieser Abschnitt zu viele Konjunktive enthält

Der Ansatz entpuppt sich – gemessen an der Realität des Schulalltags – als ein Traum. Aber der ABACUS Lehrer für Physik Nachhilfe, Mathe Nachhilfe und für alle anderen MINT-Fächern wird doch auch einmal träumen dürfen…

Es zeigt sich, dass immer weniger Zusammenhänge verstanden werden – wohl weil sie nicht ordentlich oder gar nicht vermittelt (gelehrt) werden. Und damit wächst leider auch der Unwillen, sich Erklärungen anzuhören. Von Interesse ist häufig nur noch: Welches ist die richtige Lösungsformel und wo steht sie? Ein fataler Fehler in den MINT-Fächern!

Die Aufgabe besteht also darin, alles daran zu setzten, um zu vermeiden, dass die Lücke zwischen dem, was auf der Schulebene erreicht wird, und dem, was in der eingangs so positiv dargestellten Welt der Forschung und Lehre erwartet wird, nicht weiter wächst.

Veröffentlicht von

Hensel

Prof. Dr. Wilfried Hensel, TU Berlin. 30 Jahre naturwissenschaftliche Lehrerfahrung

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