Nachhilfe in Hamburg: Lokalpatriotismus

1911 entstand das Ur-Hamburger Lied „An de Eck steiht ’n Jung mit ’n Tüddelband“, welches eigentlich jedem gebürtigen Hamburger – so denn kein Quittje – bekannt sein sollte. Das Hamburger Abendblatt widmete der Historie dieses Liedes in (platt-/) niederdeutscher Mundart zum Jubiläum fast eine ganze Seite (Ausgabe 23/24.7.2011, S. 9). Natürlich auch mit einem gewissen Aktualitätsbezug, denn ab dem 1. August 2011 gelten in Hamburg neue Grundschul-Bildungspläne, in denen auch das Niederdeutsche einen angemessenen Platz gefunden hat:

Es ist sogar ein eigener niederdeutscher Bildungsplan für die Grundschulen Hamburgs in Kraft. Klar heißt es auf S. 10:

„Die Aneignung des Niederdeutschen ermöglicht Verständigung in der Regionalsprache und ein Kennenlernen der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in der Region. Der Niederdeutschunterricht trägt dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler Aufgeschlossenheit im Umgang mit ihnen nicht oder wenig bekannten Elementen der eigenen Kultur entwickeln. Die erworbenen regionalsprachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse ermöglichen eine differenzierte und sachangemessene Kommunikation in der eigenen Region und darüber hinaus in weiten Teilen Norddeutschlands.“

Zur Begriffs-Historie und zur „Hamburg-Hymne“ wäre noch anzumerken:

1) Ein „Tüddelband“ hatte damals (fast) jeder Jung‘: Es diente – nach kunstvoller und individueller Umwicklung – zur Beschleunigung des von fast allen Hamburger Jungs besessenen obligatorischen Holzkreisels, mit denen Besagte dann kurzweilige Spiele und Wettbewerbe auf den Gassen und Hinterhöfen abhielten. Der Gewinner bekam häufig als Einsatz den Kreisel der jeweils unterlegenen Kontrahenten, weshalb denen gelegentlich nur besagtes Tüddelband nachblieb… The winner get’s it all.

Den heutigen Eltern und deren Kindern ist das Kreiselspiel sicher als „Beyblades“ mit so martialischen Namen wie „Battle Strikers“ nach wie vor geläufig. Vortrieb und Beschleunigung wird jedoch heutzutage mit Lithium-Ionen oder Nickel-Cadmium-Zellen betriebenen Vorsatzgeräten erreicht. Die Fingerfertigkeiten und die gesunde Körperkoordination, die „Blades“ mittels „Tüddelband“ in ähnlicher Manier in der Arena in Bewegung zu setzen, wohnen dem Kinde heutzutage nicht mehr inne…

2.) Niederdeutsch oder hier besser „Hamburger Platt“ galt in der Metropolregion Hamburg – wenn man Selbige schon damals um die 20. Jahrhundertwende so tituliert hätte – als Sprache der „einfachen Leute“. Ein Hanseat, der etwas auf sich hielt, vermied in der Regel sprachliches Lokalkolorit und den jeweiligen Regionaldialekt (Wie üblich in allen größeren deutschen Städten). „Platt“, den Regionaldialekt, sprach man allenfalls in „Barmbek-Basch„. „Basch“ war / ist eine niederdeutsche Hamburger Bezeichnung für die Verhaltensweise von Menschen, welche Dispute stets mittels nonverbaler Kommunikation auszutragen pflegten und in Habitus, Aussehen und Kleidung eher den Plebejern zuzurechnen waren. In etwa ein Synonym für „Primitivling“, welches man in Hamburg eben „anno dunnemals“ vordringlich den Bewohnern des Arbeiter-Stadtteils Hamburg-Barmbek zuschrieb.

3) Die schöne Kinderweise vom Tüddelband und den „Hamburger Jungs un‘ Deerns“ jedoch als „Hamburg-Hymne“ zu stilisieren, wäre zu hoch gegriffen, denn dieser Platz ist schon durch die „Hammonia“ (lat: Hamburg) besetzt:

Geschrieben vom Hamburger Lehrer (sic!) Dr. Jürgen Niklaas Bärmann (1785-1850), ergänzt 1828 um die Noten aus der Feder von Albert Methfessel, dessen Namen heute zumindest ein Sträßchen in Hamburg-Eimsbüttel trägt. Besagte Hymne wird zu offiziellen Anlässen zur Repräsentation der freien und Hansestadt Hamburg gesungen:

„Stadt Hamburg an der Elbe Auen,
Wie bist du stattlich anzuschauen!
Mit deinen Türmen hoch und hehr
Hebst du dich schön und lieblich sehr! Refrain:
|: Heil über dir, heil über dir,
Hammonia, Hammonia!
O wie so herrlich stehst du da! :“

Um parziell grassierender Unwissenheit vorzubeugen: Das Wörtchen „Heil“ mögen zwar auch die braunen Schergen 12 Jahre stets laut gebrüllt haben. Jedoch stammt diese Grußformel bereits aus dem Altgermanischen, übertrug sich ins Englische und Mittelhochdeutsche und hält sich bis heute in einigen Bereichen des südlichen deutschen Sprachraumes. Es bedeutet soviel wie „Glück Dir“ oder Gesundheit Dir“ und wurde als Willkommens- und Abschiedsgruß entboten.

Später setzte sich jedoch im Süden als Abschiedsgruß das „Servus“ (lat: Sklave) im Sinne von „Stets Ihr Diener“ oder im katholischen Freistaat Bayern das „Pfiat‘ Di“ (Kurzform für: Es führe Dich Gott auf Deinen Wegen“) durch.

Der Hamburger Hanseat macht es sich hier einfach: „Moin“ – übrigens zu jeder Tageszeit – als Willkommens- und Tschüss (Hamburgisch korrekter: A-Tschüss: „Na, dann bis zum nächsten Mal“) als Abschiedgsgruß.

Ein „Quittje“ ist übrigens ein – wie der Bajuwar sagt – „Zu g’roasta“: Jemand, der nicht in Hamburg geboren ist. Die strenge Hamburger Auslegung besagt: Jemand, welcher nicht in der dritten Generation gebürtiger Hamburger ist, ist als Quittje zu bezeichnen und eben kein Quittje zu sein, war lange Zeit so Aufnahmebedingung im Verein geborener Hamburger e.V… Hamburg galt ja schon immer als weltoffene Stadt 🙂

Veröffentlicht von

Bach

Dr. Siegfried Bach ist Gymnasiallehrer im Ruhestand, Studienleiter und Lektor.