Gedanken zu Bildung vor dem Hintergrund der Mediatisierung

Es gibt zwei Seiten deutscher Bildungspolitik. Auf der einen Seite hat sich seit dem 19. Jahrhundert im deutschen Schulwesen nicht viel getan. Das Grundverständnis von Lernen und Schule ist unverändert: didaktisch aufbereiteter Unterricht – zuhören, lesen, wiederholen und üben. Auf der anderen Seite machen sich zunehmend die Bundesländer mit Best-Practice-Projekten gegenseitig Konkurrenz. Dazwischen die Schüler, welche als passive Bildungskonsumenten im digitalen Zeitalter quasi dazu verdammt sind, abzuwarten, bis entsprechende bildungspolitische Maßnahmen endlich greifen; alles Schüler, welche jetzt (sic!) mit digitalen Medien aufwachsen und mit diesen arbeiten und lernen wollen, weil es ihrer Lebensrealität entspricht. Das neue Ideal des Lernens orientiert sich in weiten Teilen an reformpädagogischen Überlegungen. Kreativität, kollaborative Projekte, Selbstbestimmung und Selbstorganisation zur Wissensaneignung abseits von vorgefertigten didaktischen Inhalten rücken vermehrt in den Vordergrund, weil sie den gesellschaftspolitischen Anforderungen entsprechen. Heranwachsende wollen mit dem Medium Computer Lösungen suchen, Ergebnisse produzieren und diese präsentieren. Sie sind auf der Suche nach differenzierten Lernmaterialien in der virtuellen Welt und werden in der Schule dennoch weiterhin mit Arbeitsblättern und Büchern ausgestattet. Das Niveau, auf dem digitale Medien in der Schule eingesetzt werden, ist suboptimal.

Allerorten wird zwar die Dringlichkeit optimierter Lehr- und Lernbedingungen angemahnt, doch sieht die Praxis faktisch anders aus. Warum? Die Möglichkeiten, alte Lernformen mit digitalen Medien zu bereichern, indem zum Beispiel Lernprogramme (adaptive learning) in den Unterricht einbezogen werden, sind gegeben. Es gibt doch Learning-Management-Systeme, die Lernfortschritte der Schüler erfassen und individuelle Lernwege aufzeigen. Es gibt Drill & Active Apps zum Erlernen von Sprachen, Filme der Khan-Academy, statische E-Books unter digitale-schulbuecher.de oder Online-Kurse, die auf Wissenspräsentationen basieren.1

Für Lehrer und Schüler stellen all diese Angebote eine Arbeitserleichterung dar – und bleiben doch noch in der Gesamtheit schulischer Bildung meist ungenutzt.2 Digitale Medien sind hervorragend dazu geeignet, traditionelle Schule modern fortzusetzen. Hardware und Software bilden zwar das Fundament, aber was Schule unter zeitgemäßer Bildung versteht und in welche Richtung in Zukunft gelehrt werden soll, hängt im Wesentlichen vom Selbstverständnis der Schulleitungen und Lehrer ab. Um Neugier und Freude am Lernen aufrechterhalten zu können, müssten Unterrichtsangebote so ausgestaltet sein, dass sie den individuellen Lernvoraussetzungen, Bedürfnissen und Interessen der Schüler entsprechen.

Teilhabe und selbst gesteuertes Lernen sollte neben sozialem Lernen und individueller Förderung zum Selbstverständnis jeder Schule gehören. Damit eigenverantwortliches Lernen in einer lebendigen Form praktiziert werden kann, sind feste Strukturen und verbindliche, transparente Regeln in der schulischen Praxis notwendig. Schulische Leistungen müssen sich heute den veränderten Lernformen anpassen. Damit Kinder und Jugendliche ein individuelles Selbstverständnis für ihre eigene Bildungsbiografie aufbauen können, benötigen sie ein aus der Schulkultur entwickeltes Leitbild. Denn der gesellschaftliche Bildungsauftrag bezieht sich nicht nur auf die reine Wissensvermittlung, sondern der Bildungsbegriff impliziert auch einen Erziehungsauftrag, der auf der Grundlage eines humanistischen Menschenbildes basiert. Das Bewusstsein für Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung ist eine entscheidende Grundvoraussetzung für das individuelle Selbstverständnis junger Menschen in ihrem Denken und Handeln.

Mit der fortschreitenden Globalisierung und der sich mit ihr wandelnden Gesellschaft rückt auch das Thema der kulturellen Bildung verstärkt in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Kulturelle Bildung öffnet die Türen zur kulturellen Teilhabe. Sie ist ein Querschnittsthema, das alle Bereiche des Lebens frequentiert und in seinem Reichtum einen unermesslichen Wert für die Gesellschaft bedeutet. Daher erfordert die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur mit Bildungsinstitutionen praxisnahe und effektive Förderungsprogramme.
Kultur stärkt den Menschen in seinem Sein. Deshalb gehören Maßnahmen kultureller Bildung insbesondere im Hinblick auf benachteiligte Kinder und Jugendliche in den schulischen Bildungsprozess. Mit der aktiven kulturellen Teilhabe wird die Chancengerechtigkeit erhöht und die Bildungsarmut bekämpft. Kulturelle Bildung gibt Selbstbewusstsein und sensibilisiert gleichzeitig für Fremdes und Ungewöhnliches. Der Umgang mit Kunst und Kultur befähigt dazu, das eigene Leben kreativ und selbstbestimmt zu gestalten. Mit Kunst und Kultur lassen sich gesellschaftliche und politische Wirklichkeiten durchschauen. Unsere Gesellschaft ist geprägt durch die Vielfalt von Menschen aus anderen Kulturen und Traditionen, welche sich unter gemeinsamen Werten aufgeklärter Kulturprogramme zusammenfinden müssen.

Mit dieser Vielfalt hat sich das kulturelle Leben in Deutschland verändert. Kulturelles Leben ist kein statischer Prozess, sondern obliegt einem Wandel, der seine Ursachen im permanenten Zuzug von Menschen aus allen Teilen der Welt hat. Ein Großteil der Aktanten hat das elementare Bedürfnis, seine Traditionen zu leben und kulturelle Wurzeln zu hegen. Auf der anderen Seite gibt es viele – gerade junge – Menschen, denen das kulturelle Fundament fehlt. Durch gezielte kulturelle Bildung kann die Vielfalt der verschiedenen Kulturen bewahrt werden sowie ein Antrieb entstehen, sich mit der Gesellschaft zu identifizieren. In der kulturellen Bildung steckt die Chance, sich anderen kulturellen Einflüssen zu öffnen und sich mit der eigenen Kultur zu beschäftigen. Sie führt zu Wertschätzung und Anerkennung anderer Menschen mit ihren kulturellen Hintergründen. So müssen in der formalen Bildung Grundlagen für kulturelle Bildung geschaffen werden, mit der alle Gruppierungen innerhalb einer Schule erreicht werden können. Kulturelle Bildung ist eine der Voraussetzungen zur Chancengerechtigkeit.

Zentraler Ausgangspunkt ist aus soziologischer Perspektive – siehe Pierre Bourdieu – der antrainierte Habitus in der Kindheit, der Denken, Wahrnehmung und Handeln formt und das Auftreten der Person bestimmt. Dieser klassenspezifische Habitus, der also durch soziale Herkunft und kulturelle Praxis geprägt ist, bestimmt auch über die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft. Kulturelle Bildung in der Schule kann Perspektiven dafür schaffen, aus tradiert-archaischen familiären Reproduktionsmechanismen neue Freiheiten zu gewinnen. In der inklusiven Pädagogik stellt die Wertschätzung der Diversität ein hohes Gut dar. Doch kulturelle Heterogenität birgt auch Segregationsrisiken. Kulturelle Bildung kann durch die Erweiterung des Lern- und Leistungsbegriffs einen Beitrag dazu leisten, dass im schulischen Unterricht unterschiedliche Begabungen gezielt gefördert werden können und eine gemeinsame Werteidentifikation ermöglichen . Mit der Globalisierung haben sich auch neue kreative Potenziale entwickelt, die unter dem Begriff „Intermedialität“ zusammengefasst werden können.

Es ist die Aufgabe der Schule, die Symbiose von Kunst und Medien weiterzudenken und die Schüler bei der Entwicklung neuer Ausdrucks- und Gestaltungsformate zu unterstützen. Unter Einbindung digitaler Medien kann kulturelle Bildung der Schlüssel sein, mit dem die Räume für informelles Lernen geöffnet werden. Kulturelle Bildung unterstützt die Überwindung tradierter Unterrichtsmethoden und schafft eine neue Sichtweise auf Lehren und Lernen. Das erfordert einen radikalen Umbau des bestehenden Schulsystems.

Mit kultureller Bildung lassen sich traditions- und grenzüberschreitende Kooperationen bilden, aus denen Kulturpartnerschaften erwachsen, die zum Aufbau interkultureller Beziehungen führen können. Ein Zusammenschluss von kultureller Bildung und Medienpädagogik kann Zugänge für eine moderne Perspektive auf Kunst und Kultur eröffnen und zur Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen beitragen.3

1 Anmerkung: Überblicksseiten zu Learning Apps: bbcactive. Letzter Zugriff: 23. September 2015. the-55-best-best-free-education-apps-for-ipad. Letzter Zugriff: 23. September 2015.

2 Vgl. eine-tablet-klasse-macht-noch-keine-moderne-schule. Letzter Zugriff: 23. September 2015.

3 Vgl. Pasuchin, Iwan: Thesen zur intermedialen künstlerischen Bildung. Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik, 9/2006, S. 1–6.
Vgl. Magazin_KULTURELLE_BILDUNG. Letzter Zugriff: 23. September 2015. Vgl. außerdem: Fuchs, Max: Kulturpädagogik und Schule im gesellschaftlichen Wandel. In: Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion, 2005, S. 155–276.

Veröffentlicht von

Dr. Kai Pöhlmann

Dr. Kai Pöhlmann ist Inhaber der ABACUS Nachhilfe Institute Hamburg und Kreis Pinneberg und Gründer des ersten ABACUS-Nachhilfeinstitutes nördlich der Isar. Google+

Schreibe einen Kommentar