Analysis-Fundament des Denkens in Systemen

Mit Bezug auf die Analysis als Schwerpunktthema im Mathematikunterricht der Oberstufe hatten wir in einem Nachhilfe-Blog-Beitrag im August 2013 die „kernige“ Aussage gemacht: Die Analysis ist schlechthin das Fundament des Denkens in Systemen.

Warum dieser Ansatz aus meiner Sicht eine wichtige Orientierung bei der Beantwortung der Frage „Wozu lerne ich das?“ ist, möchte ich in diesem Beitrag näher erläutern.

Mit Hilfe eines hoffentlich einleuchtenden Beispieles will ich den Versuch machen aufzuzeigen, auf welche Weise die in den MINT-Fächern Physik und Mathematik erworbenen Kenntnisse den Zugang zu Systemen verschaffen, um sie verstehen und handhaben zu können.

Ein kompletter Antrieb mit seiner Arbeitsmaschine und dem daran hängenden Prozess, dem Antriebsmotor und schließlich der zugehörigen Regeleinrichtung ist ein System.
Stellen wir uns vor, wir sollten den Pumpenantrieb für einen Kühlkreislauf hinsichtlich des Energieverbrauches optimieren. Die klassische Variante ist, dass die Pumpe von einem Elektromotor mit konstanter Drehzahl angetrieben wird. Die geförderte Menge des Kühlmittels wird durch Drosselung auf der Abgabeseite geregelt. Diese Lösung hat hohe Betriebskosten, weil der Antriebsmotor praktisch bei jeder Fördermenge (0 – 100%) mit konstanter Leistung läuft.

Dem steht die Alternative gegenüber, dass die Fördermenge durch die Pumpendrehzahl geregelt wird. Hierbei nimmt der Antriebsmotor immer soviel Leistung auf, wie es der jeweiligen Fördermenge entspricht. Die Betriebskosten sind im Vergleich der Konzepte deutlich niedriger, die Initialkosten jedoch höher. Es wird also ein Antriebskonzept der Pumpe mit einem drehzahlgeregelten Elektromotor gesucht. Um den Vergleich der Systeme durchführen zu können, muss man rechnen. Es soll nur die zweite Variante – getreu dem Ziel, einfach zu bleiben – in „groben Blöcken“ betrachtet werden.

Block 1:

Der Kühlkreislauf, den wir hier nicht näher detaillieren wollen, mit der Kühlmittelpumpe, für die wir folgende Annahme treffen: Ihr Drehmoment Mp soll näherungsweise quadratisch mit der Drehzahl steigen: Mp = c1 x n². (Mathematik: Potenzfunktionen, hier speziell Parabel)

Block 2:

Der Elektromotor, der das Antriebsdrehmoment Mm für die Pumpe zur Verfügung stellt, mit der zugeordneten Verstelleinrichtung für die Motordrehzahl. Letztere soll nicht näher betrachtet werden. Bei der Behandlung des magnetischen Feldes haben wir gelernt, dass auf einen vom Strom „Im“ durchflossenen Leiter die Kraft „Fm“ wirkt, wenn der Leiter sich in dem Magnetfeld „Фm“ befindet. (Physik, Magnetfeld: siehe Lorentz-Kraft). Die Kraft Fm ist proportional dem Produkt aus Strom und Magnetfeld und wirkt am Umfang des Motorläufers: Die Folge ist das auf die Motorwelle wirkende Motordrehmoment: Mm = c2 x Im x Фm.

Block3:

Der Regler, mit dessen Hilfe die Drehzahl n der Antriebswelle für die Pumpe bei Veränderung der gewünschten Kühlmittelmenge auf die Stellbefehle hin selbsttätig verändert wird. Er gibt die gewünschte Drehzahländerung: n soll – n ist ~ Fr (t) x Δn an, die unter Block 2 erwähnte Verstelleinheit weiter.

Mit Hilfe der Zeitfunktion Fr(t) wird das Regelverhalten an die Erfordernisse des Kühlprozesses angepasst.

Die entscheidende Systemgröße des Antriebes ist die Drehzahl n der Pumpenwelle, weil sie unmittelbar die Fördermenge des Kühlmittels bestimmt. Auf die gemeinsame Welle wirkt das Antriebsmoment des Elektromotors Mm, das der Summe aus dem Pumpenmoment Mp, dem Beschleunigungsmoment Mb und dem Reibungsmoment Mr zu jedem Zeitpunkt das Gleichgewicht hält. (Physik, Mechanik: siehe Gleichgewicht der auf eine Welle wirkenden Momente) Das Beschleunigungsmoment ist proportional der Änderung der Drehzahl in der Zeit, also der ersten Ableitung der Drehzahl: Mb = c3 x dn / dt. (Physik, Mechanik: siehe Zusammenhänge Weg / Geschwindigkeit / Beschleunigung)
Das Reibungsmoment Mr wird in erster Näherung als konstant (c4) angenommen.

In der Zusammenstellung dieser Terme ergibt sich die so genannte Bewegungsgleichung der Pumpe. Sie ist die wesentliche Berechnungsbasis für unser Pumpensystem:

Mm = c1 x n² + c3 x dn/dt + c4. (Die Konstanten c1, c3 und c4 spielen hier keine wesentliche Rolle.)

Man erkennt, dass die rechte Seite dieser Gleichung sowohl die Pumpendrehzahl n selbst als auch deren erste Ableitung dn/dt = n´(t) enthält. Diese rechte Seite stellt also eine sogenannte Differentialgleichung in n dar. Wir könnten nun die linke Seite dieser Gleichung mit Hilfe der Gesetze der Elektrophysik weiter detaillieren, wozu die Oberstufenkenntnisse in Physik und Mathematik im Prinzip ausreichen. Im Rahmen dieses Beitrages ist das nicht machbar. Im Ergebnis würden wir sehen, dass die Gleichungen für das Motormoment Mm die entsprechenden Ströme selbst und ihre Ableitungen nach der Zeit enthalten – also wieder Differentialgleichungen darstellen. Ähnliches gilt für den Drehzahlregler. Das betrachtete Antriebssystem wird also durch ein physikalisch / mathematisches Model beschrieben, das aus Differentialgleichungen besteht.

Die Erstellung des Models ist uns mit den Kenntnissen, die im MINT-Bereich der Oberstufe vermittelt werden, demnach durchaus möglich. (Physik, Mechanik und Magnetfeld sowie Mathematik (Analysis: siehe Differentialrechnung)) So gut sind wir also schon!
Zum Auflösen der Differentialgleichungen nach den Systemgrößen müssen wir sie integrieren. Nun lernen wir zwar als Oberstufler im zweiten Teil der Analysis die Grundlagen der Integralrechnung. Das Lösen von Differentialgleichungen allerdings gehört gewöhnlich nicht zum Oberstufenprogramm der Schulen. An dieser Stelle geht es dann auf den Universitäten weiter. Es erwarten uns also auch über die Schule hinaus spannende Themen im MINT-Bereich! Wir erkennen: Die Anstrengung des Lernens lohnt sich, denn wir haben jetzt eine Vorstellung über das „Wofür“. Das jedenfalls wünscht sich der Autor. (siehe hierzu auch frühere Nachhilfe-Blog-Beiträge zum Thema „Systemdenken„)

Veröffentlicht von

Hensel

Prof. Dr. Wilfried Hensel, TU Berlin. 30 Jahre naturwissenschaftliche Lehrerfahrung

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