Kostenlose Nachhilfe in Hamburg?

In Hamburg soll es ab dem nächsten Schuljahr kostenlose Nachhilfe für alle Schüler an Hamburger Schulen geben, so wird Schulsenator Rabe von den Medien zitiert. Wir zitieren mal aus dem Artikel der Welt-Online von heute:

Alle Hamburger Schüler, die im Unterricht schwache Leistungen zeigen, sollen vom kommenden Schuljahr an in der Schule kostenlosen Nachhilfeunterricht erhalten. Der neue Schulsenator Ties Rabe (SPD) will zum Sommer ein System aufbauen, das nicht nur, wie im Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung vorgesehen, den Kindern aus Hartz-IV-Familien zusätzliche Förderung bietet, sondern auch alle übrigen Schüler einbezieht.

Grundsätzlich ist es sicher eine löbliche Absicht, Nachhilfe in den Schulen, dort wo der Nachhilfe-Bedarf auch entsteht :-), stattfinden zu lassen. Noch löblicher ist es, die Nachhilfe dann kostenfrei allen Hamburger Schülern anzubieten.

Der Nachhilfe News Blog hat dazu folgende Gedanken und Bedenken:

Der rechtliche Aspekt:

Die Mittel aus dem Bildungspaket der Bundesregierung sind zweckgebunden und sollen NUR bedürftigen Familien in Form von Bildungsgutscheinen zugute kommen. Die BSB Hamburg will diese Mittel „umfunktionieren“ und alle Hamburger Schüler partizipieren lassen. Das erscheint uns rechtlich bedenklich. Wohngeld erhält der Bedürftige, nicht der Inhaber einer Eigentumswohnung…

Ferner hatte sich Schulsenator Rabe schon so geäußert, dass Hamburg keine Bildungsgutscheine ausgeben wird. Auch das halten wir für rechtlich bedenklich, da das Verfahren für die Gelder aus dem Fördertopf vorgeschrieben ist. Eine eigenwillige „Hamburger Lösung“, so gutmeinend diese auch sei, ist für Bundesmittel derzeit nicht vorgesehen und bedarf der rechtlichen Klärung.

Aus gutem Grund ist von der Bundesregierung ein Gutscheinsystem installiert worden. Es soll natürlich die Zweckgebundenheit der Mittel sicherstellen. Es soll aber auch den Begünstigten die freie Wahl lassen, in welchem Sportverein das Kind Fussball spielt, in welcher Tanzschule oder Theatergruppe der Schüler am kulturellen Leben teilnimmt, wo es seinen Schulbedarf einkauft oder bei welchem Musikanbieter es welches Instrument lernt. Gilt Gleiches nicht für die Nachhilfe des Bildungspaketes, würde es nach Sicht unseres Blogs gleich mehrere Rechtsprinzipien verletzen…

Der organisatorische Aspekt:

1.1. Personalbedarf

Hamburger Schulen sollen die Nachhilfe für ihre Schüler organisieren.

Das bedeutet für die Sekretariate der Schulen – da wir mal davon ausgehen, dass es sich um Gruppen-Nachhilfeangebote handeln soll – diese die Nachhilfe-Kandidaten sammeln und listen müssen, zu sinnigen Lerngruppen zusammen zu fassen, Zeiten disponieren, zu denen jeder der bedürftigen Schüler auch kann und eine fachlich kompetente Nachhilfekraft bereitstellen müssen.

Die Nachhilfegruppen dürfen dann nicht größer sein als 3 bis 9 Schüler, damit es produktiv für den einzelnen Förderkandidaten bleibt (Die großen, Deutschen Gruppen-Nachhilfeanbieter Schülerhilfe und Studienkreis bemühen sich stets, diese Nachhilfegruppenstärke nicht zu überschreiten).

Die Nachhilfequoten in Deutschland liegen zwischen 28-32%, an Gymnasien bei ca. 50%, durch die G8-Verkürzung (vgl. SHELL-Jugendstudien).

Das bedeutet, dass zum Beispiel ein Hamburger Gymnasium neben der Unterrichtsversorgung bei einer Schulstärke von 500 Schülern für 250 Schüler Nachhilfeunterricht organisieren muss. Bei einer Nachhilfe-Gruppenstärke von 5 Schülern (= AM) entsteht ein zusätzlicher Bedarf von 50 Nachhilfelehrer / Stunden / Woche je Hamburger Gymnasium, wenn es 1-mal die Woche stattfinden soll.

1.2. zeitlicher Aspekt:

Die Stundentafel eines G-8 Gymnasiasten ist je nach Klasse und Klassenstufe 1. recht individuell und 2. reicht der Unterricht bis in den Nachmittag. Der Tag hat nur 24 Stunden. Sinnige Nachhilfe-Lerngruppen jahrgangsrein zusammenzustellen, an denen die den Gruppen zugewiesenen bedürftigen Schüler alle auch Zeit haben, wird an den einzelnen Schulen sicher nicht einfach.

2. Kosten:

Die Hamburger Schulen sollen laut Senator Ties Rabe Lehrer, Studenten und Referendare für die Nachhilfe an Schulen einsetzen. Das ist sinnvoll und richtig.

Ein Oberstufenschüler wäre wohl auch kaum geeignet. Auch ein renommiertes Nachhilfeinstitut würde kein unqualifiziertes Personal einsetzen. In einem Gruppennachhilfeinstitut erhält ein Nachhilfelehrer je nach Institut und Lehrerfahrung zwischen € 16,- bis € 20,- für je 90 Minuten Nachhilfeunterricht.

Hamburg stehen € 45 Mio für ca. 78000 Kinder aus bedürftigen Familien aus dem Bildungspaket zur Verfügung. Entspricht je Kind und Schüler € 576,92 pro Jahr.

Minus Mittagessens-, Kultur-, Sport-, Freizeit, Ausflugs-, Schulbeförderungs- und Schulmaterialbedarfsanteil aus der Förderung des Bildungspaketes bleibt wohl nicht mehr so viel übrig aus dem Topf für die Nachhilfeförderung an Hamburger Schulen…

Und wenn dann auch noch die eigentlich nicht bedürftigen Schüler dazu stoßen, muss wohl ein Eigenanteil von den Eltern der nicht Bildungspaket-Bedürftigen und „Förderungsunwürdigen“ erhoben werden 🙂

Wie gut, dass wir nicht in der Haut von Dr. med. Peter Tschentscher (Finanzsenator) und Lehrer Ties Rabe (Schulsenator) stecken, die das ausrechnen müssen…

Infos übers Bildungspaket gibt bei uns im Nachhilfe-Blog, die Möglichkeiten und Rechte aus dem Bildungspaket können Sie auf der offiziellen Seite des BMAS einsehen.

Veröffentlicht von

Dr. Kai Pöhlmann

Dr. Kai Pöhlmann ist Inhaber der ABACUS Nachhilfe Institute Hamburg und Kreis Pinneberg und Gründer des ersten ABACUS-Nachhilfeinstitutes nördlich der Isar. Google+

2 Gedanken zu „Kostenlose Nachhilfe in Hamburg?“

  1. An sich ist die Idee auch Nicht-Hilsbedürftige-aber-Nachhilfe-benötigende-Kinder zu fördern, ein guter Gedanke, aber ich sehe da noch ein weiteres Problem.

    Es geht hier ja nicht nur um Finanzen. Auch die Kinder selber müssen willig sein, an solchen Maßnahmen überhaupt teilzunehmen und sie nicht einfach als überflüssige zusätzliche Unterrichtsstunden wahrzunehmen.
    Ansonsten stören sie die Nachhilfe vielleicht ebenso wie den normalen Unterricht und ein ‚Lernen‘ im erzielten Sinne tritt überhaupt nicht ein.

    Ein weiteres Problem ist die Entscheidung darüber, wer überhaupt Nachhilfe benötigt. Entscheiden das die Lehrer, die Eltern? Es existiert hier die Möglichkeit eines ganzen Spektrums von Fehlinterpretationen. Werden möglicherweise auch Kinder zur Nachhilfe geschickt, die vielleicht ein ganz anderes Problem haben, als ihre Lernbefähigung?

    Und was die Berechnungen angeht…
    Nein, in deren Haut möchte ich auch nicht stecken.

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