Kochrezepte für Mathematik Unterricht an Schulen

Wenn Mathematik-Schulbücher zur Gebrauchsanweisung für Taschenrechner degradiert werden… Als ABACUS-Mathematik-Nachhilfelehrer älteren Jahrgangs stellt man mit Erstaunen fest, dass in der Praxis des derzeitigen Mathematikunterrichts altbekannte funktionale Zusammenhänge offenbar in Vergessenheit geraten sind. Damit geht einher, dass auch die an den Schulen verwendeten Mathematikbücher die hier angesprochenen Wissensbereiche schlicht verschweigen.

Konkret gesprochen geht es hier vor allem um zwei Teilgebiete der Schul-Mathematik, die eine zentrale Rolle bereits in der Sekundarstufe I, also an Realschulen und deren neuzeitlichen Derivaten und an Gymnasien spielen.

Das eine dieser Themengebiete ist die Trigonometrie. Hier geht es um die Zusammenhänge zwischen den Seitenlängen und den Winkeln in einem rechtwinkligen Dreieck. Zu deren Berechnung benötigt man zwei mathematische Funktionen, die in vielen Bereichen der der Natur und der sie beschreibenden Wissenschaften eine wichtige Rolle spielen, ausgehend vom Lehrsatz des Pythagoras die Sinus- und die Kosinusfunktion.

Im Zusammenhang mit Trigonometrie Sekundarstufe I werden Sinus und Kosinus zunächst als Operatoren zur Berechnung von Winkeln in rechtwinkligen Dreiecken eingeführt.

Der Schüler lernt: Der Sinus eines Winkels im rechtwinkligen Dreieck ist das Verhältnis von Gegenkathete zu Hypothenuse. (Gegenkathete = der dem gesuchten Winkel gegenüberliegende Schenkel des rechten Winkels, Hypothenuse = dem rechten Winkel gegenüberliegende Seite).

Die Aufgabe besteht nun normalerweise darin, für vorgegebene Seitenlängen a, b und c einen Winkel, zum Beispiel den Winkel α zu berechnen. Dafür gilt dann sin α = a/c. Um diese Gleichung nach dem Winkel α aufzulösen, benötigt man die Umkehrfunktion zu y = sin x. Diese entsteht aus der Ursprungsfunktion durch Vertauschen der Koordinaten x →y, also x = siny. Diese Vertauschung führt zu einer Spiegelung der Ursprungsfunktion an der Geraden y = x, also der Winkelhalbierenden im x-/y- Achsensystem.

Man kann diese gespiegelte Funktion sehr leicht zeichnen, und natürlich ist sie als programmierte Funktion auf den Taschenrechnern, die die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen an unseren Schulen benutzen, verfügbar. Die Auflösung dieser Spiegelfunktion nach y heißt Arkussinus: y = arcsin x und die Lösung unserer Aufgabe lautet damit also: α = arcsin a/c, weil arcsin sin α = α ist (Umkehrfunktion und Ursprungsfunktion „heben“ sich auf).

Von diesen Zusammenhängen ist in den vorerwähnten Mathematikbüchern keine Rede. Wenn der Schüler den Winkel α aus dem vorgenannten Sinusausdruck berechnen soll, findet er im Lehrbuch etwa die folgende Anweisung für die Bedienung des Taschenrechners:

Zitat aus einem Mathe-Schulbuch: „Bei gewähltem DEG-Modus: Wenn Du einen Sinuswert eingibst und die sin‾¹. Taste drückst, liefert der Taschenrechner den zugehörigen Winkel in Grad.“ Eine Erklärung, warum das so ist, wird man schwerlich finden. Kein Hinweis im Mathe-Buch darauf, dass sich hinter der sin‾¹ – Taste die vorerwähnte Arkussinusfunktion verbirgt, und keine ergänzende Erläuterung, wie diese entsteht und warum sie zur Lösung der Aufgabe benötigt wird. Auch die Umkehrfunktion der „Schwesterfunktion“ Kosinus, nämlich den Arkuskosinus wird man vergeblich im Lehrbuch suchen.

Das bedeutet: Lösung einer elementaren mathematischen Aufgabe nach „Kochrezept“. Pragmatisch betrachtet mag die Methode ja gerechtfertigt sein. Bei richtiger Handhabung des Taschenrechners führt sie zur Lösung. Der Schüler weiß nur nicht, warum.

Als Nachhilfelehrer in Diensten der Nachhilfe Hamburg und Kreis Pinneberg ist man natürlich bemüht, Verständnis für mathematische Zusammenhänge und Lösungswege zu wecken. So kann man sich der Befürchtung nicht erwehren, dass derartige Kochrezept-Vorgaben ohne die notwendige Erklärung der Hintergründe zur „Mystifizierung“ des Lehrstoffes Mathematik führen muss. Ganz ähnlich ist die didaktische Methode auf dem Teilgebiet der Exponentialfunktionen. Mit ihrer Hilfe werden im Unterricht in der Regel Prozesse mit exponentiellem Wachstum oder exponentieller Abnahme behandelt.

Eine Standardaufgabe lautet etwa: Wie lange dauert es, bei Anlage eines Startkapitals Ko zu einem vorgegebenen jährlichen Zinssatz p ein angestrebtes Endkapital Kn zu generieren. Die Auflösung nach der Laufzeit dieser Kapitalanlage erfordert wiederum die Anwendung einer Umkehrfunktion, nämlich die der Logarithmusfunktion. Ohne hier weiter in Einzelheiten gehen zu wollen sei nur erwähnt, dass auch in diesem Falle als Lösungsweg häufig „Rezepte“ für die richtige Betätigung von Tasten des Taschenrechners angegeben und genutzt werden.

Wichtiger als die verhaltene Kritik an diesen didaktischen Methoden in der Schule ist dem Autor das Anliegen, den Lernenden das Vertrauen zu vermitteln, dass Mathematik – bei allem Respekt – eine verstehbare Materie ist. Wie lautete kürzlich die triumphierende Überschrift in einer Tageszeitung. „Endlich einmal Mathe begreifen“. Alle Bemühungen, die in diese Richtung gehen, sind auf dem richtigen Wege. Und im Zweifelsfall muss dann die professionelle Mathe Nachhilfe zu Hause helfen.

Veröffentlicht von

Hensel

Prof. Dr. Wilfried Hensel, TU Berlin. 30 Jahre naturwissenschaftliche Lehrerfahrung

Ein Gedanke zu „Kochrezepte für Mathematik Unterricht an Schulen“

  1. Es freut mich sehr, dass Sie sich über die weit verbreiteten Unsitte des reinen Vermittelns von Kochrezepten entrüsten und dies am Beispiel und sehr detailliert darstellen. Es ist ja nicht nur die bleibende fachliche Lücke, über die wir uns Gedanken machen müssen. Darüber hinaus verinnerlichen die Heranwachsenden auch über das jeweilige Fach hinaus Denk- und Arbeitsweisen, die, vorsichtig formuliert, sehr pragmatische Züge zeigen und kaum von Neugierde an der Sache getrieben sind. Aus dem Inneren erwachsende Lernfreude kann jedoch nur dann entstehen, wenn die eigene Wissensbasis möglichst wenige Lücken aufweist. Je größer die Zahl grundlegender Wissenslücken ist, desto unverständlicher bleibt das eigene Tun – und desto größer ist der Drang, es so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.

    Ich danke für diese schöne und wichtige Darstellung!

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