Internationale Medienkompetenz-Studie ICILS – Deutsche Schüler nicht Spitze

Das Institut für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund hat gestern die Ergebnisse der internationalen Medienkompetenz-Vergleichsstudie ICILS im vorgestellt. Das wirklich Interessante ist, dass es die erste Studie ist, die unter gleichen Bedingungen (!) die Computer- und Internet-Kompetenzfähigkeiten von Schülern international nach gleichen Kriterien miteinander vergleicht und – nach allseits ja beliebten – Kompetenzrängen einordnet: Kompetenz I = gering, Kompetenzrang V = hoch

In Deutschland wurden vom April bis Juli 2013 bei 2225 Schülern der 8. Klasse und 1386 Lehrern derselben Klassenstufe bundesländerübergreifend getestet und Daten erhoben. Aussagen zu den einzelnen Bundesländern sind diffenzierend nicht möglich, wohl aber unter anderem Aussagen zu den einzelnen Schulformen (S. 12).

Die deutschen Gymnasiasten der 8. Klassen (13 und 14-jährige Schüler) schneiden deutlich besser ab als Stadteilschüler / Gesamtschüler: Sie haben einen um 13% höheren Wissens- und Kompetenzstand (S. 22). Außerdem ist die Leistungsdichte an Gymnasien deutlich höher.

Aber den Autoren gelingt es, Gesamt-Rückstände positiv umzudeuten: Die besten Stadtteil- / Gesamtschüler „schneiden besser ab als ein nicht unerheblicher Teil der Gymnasiasten“ (Vgl. S. 23 😉 . Sicher eine kleine Reminiszenz an die Parteien, welche ein Einheits-Schulsystem favorisieren.

Über 50% der Gesamt- und Stadtteilschüler (51,1%) erreicht nicht einmal die Kompetenzstufe III („Suche eine bestimmte Website im Internet und melde Dich dort an“). 30% der deutschen Einheitsschulart-Schüler sind unter dem Durchschnitt (Kompetenzstufe II). Und fast 9% der Schüler dieser Massen-Schulformen sind nicht einmal in der Lage, einen Link im Internet überhaupt anzuklicken :-(. (vgl. S. 23)

Selbst in der Spitze hinken deutsche Top-Achtklässler ihren internationalen Altersgenossen- und -genossinnen- hinterher. Die oberste Kompetenzstufe („sicheres Bewerten und Organisieren selbstständig ermittelter Informationen und eine inhaltlich und formal anspruchsvolle Ergebnisproduktion“) erreichen in Deutschland lediglich 1,5% aller Schüler.

Damit liegen selbst deutsche Spitzen-Achtklässler satte 25% hinter dem internationalen Durchschnitt. Das beste Land (Korea) hat hier 5,4% seiner Achtklässler in der höchsten Kompetenzstufe platzieren können.

Schön ist auch, dass die Studie den Zusammenhang von Lesekompetenz und Medienkompetenz deutlich aufzeigt: Je mehr Bücher ein Haushalt hat, desto besser schneiden die Schüler auch in der Computer- und Internetkompetenz ab. (Unterstellt hierbei wird, dass diese Bücher natürlich auch gelesen werden) Platt gesagt: Keine Bücher gelesen, keine Medienkompetenz! (S. 26). Medienkompetenz setzt Lese- und Schreibkompetenz schlicht voraus.

Der Migrationshintergrund spielt auch in der Medienkompetenz eine signifikante Rolle: Über 40% kommt nicht über die Kompetenzstufe II (können wie Weiland Guttenberg nur „copy and paste“) hinaus (S. 28).

Die Mädchen sind im Internet fitter als die Jungs. Was auch nicht wirklich überrascht, denn Mädchen sind in Ihrer sozialen Entwicklung in der Acceleration (der Pädagoge nennt es Adoleszenz, präoperationale Phase nach Piaget *klugscheißmodusaus*) den Jungs um bis zu zwei Jahre voraus, „stricken“ also früher an ihrem sozialen Netzwerk, heute natürlich in den digitalen, sozialen Netzwerken (vgl. S. 28).

Bei den 8. Klassen in Deutschland kommt ein einziger Schul-Computer auf 11,5 Schüler. In beispielweise Norwegen kommt auf 2,4 Schüler ein PC. Internet-Zugänge an deutschen Schulen werden nach Ansicht der Studien-Durchführer in einer der führenden Wirtschafts-Nation dieser Erde augenscheinlich noch über Rauchsignale, Flaggen und Rohrpost hergestellt: Fast 50% der Lehrer bemängeln eine unzureichende Netzverbindung an ihren Schulen.

Das Rüstzeug zur Netzwerkkommunikation und ein Zugang zur globalen Wissenswelt (ein funktionierender, internetfähiger PC) ist nur in 17,2% aller Klassenräume vorhanden (S. 30).

BYOD ist für deutsche Schulen (hier untersuchte Achtklässler) nur bei 18% der Schüler Standard, in Dänemark beispielsweise bei 84% der Schüler (S. 31). Es langt doch wohl, dass die Dänen die besseren Hot Dogs haben…

Fast 76% der deutschen Lehrer sind der Ansicht, dass der PC-Einsatz im Unterricht „vor allem dem Abschreiben dient“ (!). Jeweils ein Drittel der befragten deutschen Lehrer meinen, dass PC-Einsatz im Unterricht „zu organisatorischen Problemen führt“ und „vom Lernen abhält“ (ebenda).

Da muss man erst einmal schlucken. Noch einmal zur Verdeutlichung: Die Bundesrepublik Deutschland ist – noch! – eine der führenden Technologie- und Industrienationen dieser Erde. Ein „global Player“ in der Innovation. Davon leben wir alle als Gesellschaft. Und können mit dem Überschuss auch noch andere Nationen mitfinanzieren. Wir erzielen Prosperität nicht als Urlaubsland, noch verkaufen wir Erdöl. Unsere Gesellschaft lebt vom kumulierten Know-How, dass wir in Produkten und in Dienstleistungen anderen Ländern verkaufen. Schon immer.

Und leisten uns gesellschaftliche Bildungslabore (= Schule), in denen Menschen an und mit unseren Kindern werkeln, die zum großen Teil verbeamtet sind und die der globalen Entwicklung und der Digitalisierung scheinbar kritisch-negierend gegenüber stehen. Wie geht denn das zusammen? Erschreckender Weise besteht der überwiegende Anteil der Lehrerschaft und der Bildungspolitik ja aus Menschen, welche den tertiären Bildungsbereich unserer Gesellschaft erfolgreich abgeschlossen haben. Gerade diese sollten doch verinnerlicht haben, welche Signifikanz Begrifflichkeiten wie „lebenslanges Lernen“ und „Bildung“ für ihre Tätigkeit in Verantwortung für das Kulturprogramm bedeutet. Und welchem Input es bedarf, um junge Menschen in einer digitalisierten, leistungsorientierten (sic!) globalen Netzwerkgesellschaft auf kommende berufliche Anforderungen vorzubereiten…

Vielleicht bedarf es einer Neuorientierung der Bildungspolitik, in dem nicht kleinere Klassen, Doppelbesetzungen, „individueller Unterricht“ und „Inklusion um jeden Preis“ das Ziel gesellschaftlicher Bildung sind, sondern eher, hochqualifiziertes, forderndes Bildungspersonal an die Schulen zu bekommen, welchem einem gesellschaftlich orientiertem Leistungs- und nicht einem – individuell ausgerichteten – Inklusionsprimat folgen.

Schulische Bildung, finanziert vom jeweiligen Kulturprogramm, dient einem gesamtgesellschaftlichen, einem allgemeinen Interesse und nicht einem individuellem Verwirklichungszweck des Individuums. Es zählt in einem von der Allgemeinheit getragenen und finanziertem Bildungssystem eben (leider) nicht primär die Selbstverwirklichung des Individuums, sondern eben auch das gesellschaftliche Interesse, das Kulturprogramm als Ganzes. Es mag radikal, für manche rückwärtsgewandt klingen, aber der Primat der Bildungsindividualisierung korreliert nicht zwingend mit dem gesellschaftlichem Paradigma von Bildung als gesellschaftlicher Notwendigkeit. Schulische Bildung hat eben gerade in einer globalisierten, vernetzten und dichter zusammengerückten Welt einen hohen, fremdbestimmten Anteil.

Es scheint dem deutschen Bildungssystem immer mehr die gesellschaftliche Leistungsorientierung und der Fokus auf die Prosperität des Gesamtsystems abhanden zu kommen: Wir haben zwar das Unterrichtpersonal, um Köhler auszubilden, welche in den Wald gehen und jeder für sich gerade noch Holzkohle machen können. Aber die globalisierte Welt erwartet heutzutage hier eher die Qualifikationen für die Konzeption von Photovoltaik-Anlagen. Findet Welt diese nicht in Deutschland, kauft die globalisierte, digitale Welt eben woanders. „Ende Gelände“ mit Wohlstand zwischen Rhein und Oder wäre dann eine logische Kausalverknüpfung 3:)

Die Zusammenfassung der ICILS-Studie für den Selbstleser hier

Veröffentlicht von

Dr. Kai Pöhlmann

Dr. Kai Pöhlmann ist Inhaber der ABACUS Nachhilfe Institute Hamburg und Kreis Pinneberg und Gründer des ersten ABACUS-Nachhilfeinstitutes nördlich der Isar. Google+

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