Der Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schule und Eltern? Eine Glosse

Kräftig wird im Moment im nördlichsten Bundesland über eine Neufassung des Schulgesetzes politisch gestritten. Der Grund: Die Erwähnung beziehungsweise Nichterwähnung von Begriffen wie Erziehung, Pädagogik und Bildung (-auftrag) der Schulen in Schleswig-Holstein. Der Kern des Disputes ist – so denken wir – nicht eine Frage der wissenschaftlichen Definition der Begriffe, die ohnehin je nach Ursprungsfakultät anders gewichtet ausfällt, sondern die Frage, was sich dahinter verbirgt – verbergen soll – und was nicht: Was soll Schule leisten, was kann Schule leisten? Welche Kernaufgaben soll und kann Schule zukünftig übernehmen und welche Aufgabe haben hier noch die Eltern?

Zur Beantwortung dieser Fragen kann man sich zunächst „back to the roots“ auf die rechtliche Grundlage herunter begeben und mal in unsere „Substitutionsverfassung“, das Grundgesetz, blicken. Den Stress mit einer Verfassung haben wir uns politisch ja „geschenkt“ und unsere Politiker das GG von 1949 mit einigen wenigen Änderungen bis dato mal flugs in den Verfassungrang erheben lassen, um das lästige Auseinandersetzen mit der Bevölkerung (über Verfassungen muss und soll nämlich logischerweise das Volk abstimmen) zu sparen. Dort findet der Interessierte relativ schnell die Artikel 6 und 7.

Artikel 6.2 GG definiert klar:

„…Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht…“

und im Artikel 7.1 GG:

„Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“

Soweit, so klar, könnte man meinen: Erziehungsauftrag der Eltern, Schule = Bildung = Aufgabe / Auftrag des Staates: In erster Linie erziehen die Eltern ihre Kinder und der Staat sorgt für die Schulbildung und gibt über Lehrerinnen und Lehrer den Kindern alles Fachwissen an die Hand, welches diese brauchen, um später alleine im Leben zurecht zu kommen. Schon alleine hieraus ergibt sich eine Wechselwirkung zwischen Schule und Eltern, die (momentan) nicht paritätisch ausgeprägt ist, aber dazu später mehr.

Der Schulbildungsauftrag des Staates hat sich gesellschaftlich mehr und mehr in einen allumfassenden Erziehungsauftrag gewandelt, in dem der Staat über Schule immer mehr Erziehungsaufgaben, die zumindest früher den Eltern oblagen, mit übernimmt. Der Bildungsauftrag aus Artikel 7.1. GG wird heute in Verbindung mit der „Wächterfunktion“ für das Kindeswohl aus Art. 6.2. Satz 2 als weitreichender Erziehungsauftrag verstanden und interpretiert (vgl. Grundlagenarbeit v. Markus Thiel: Der Erziehungsauftrag des Staates in der Schule, Berlin 2000).

Doch wie stehen jetzt Erziehungsauftrag des Staates und Erziehungsauftrag der Eltern de jure zueinander? Das Bundesverwaltungsgericht hat hier 2008 in seiner Urteilsbegründung unter 6 B 65.07 eigentlich eine gewisse Klarheit geschaffen und keine weiteren Revisionen zugelassen: „…Vielmehr ist der staatliche Erziehungsauftrag in der Schule (Art. 7 Abs. 1 GG) dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Weder dem Elternrecht noch dem Erziehungsauftrag des Staates kommt ein absoluter Vorrang zu…“

Allerdings geht die Urteilsbegründung im Text auch noch weiter: „…In diesem Rahmen darf er aber grundsätzlich unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele in der Schule verfolgen…“

Nun stellt sich hier natürlich die Frage, ob sich die Erziehungsziele von Eltern und Schule / Staat immer decken ;-).

Da macht es Sinn, sich mit dem Erziehungsbegriff zu befassen. Charmant finden wir eine Definition von Prof. W. Brezinka: Erziehung wird als Sammelbezeichnung für alle erfolgreichen und erfolglosen Versuche verwendet, das Verhalten von Mitmenschen, insbesondere von Kindern, in einer gewünschten Richtung zu ändern.“

Und wie weit reicht dann der Erziehungsauftrag der Schule? Hier gibt der Bildungswissenschaftler Peter Menck eine Antwort: „Die spezifische Form der Erziehung in der Schule ist Unterricht, der als Beitrag zur Bildung der Schüler verstanden wird… Lehrer erziehen insofern und nur insofern, als sie unterrichten und damit Bildungsmöglichkeiten eröffnen. Weiter reicht ihr Erziehungsauftrag nicht“ (Menck, Peter: Was ist Erziehung?, S. 24 Siegen 2012)

Und Menck führt weiter aus:

„Bildung“ ist der spezifische Beitrag, den die allgemeinbildende Schule zur Erreichung der Mündigkeit leistet… Im Unterschied zur „Erziehung“ fehlt der „Bildung“ die so genannte „pädagogische Autorität“, nämlich das Moment der Macht oder des Zwanges, das in jener prinzipiell enthalten ist: „Bilden“ kann sich ein Mensch nur selbst; das kann ihm niemand weder abnehmen, noch auch vorschreiben; man muss selbst daran arbeiten (ebenda).

Nun mag man sich fragen, wie weit der Erziehungsauftrag von Schule reicht oder reichen sollte und ob eine Ganztagsbetreuung von Kindern sui generis Aufgabe von Staat und Schule ist oder eben sein sollte.

Wenn dann (Ganztags-)Betreuung als zusätzliche Aufgabe der Schule hinzukommt: Welche Rolle sollen Eltern dann noch haben, wenn deren gesamtgesellschaftliche Erziehungsaufgabe so offensichtlich „auf’s Zeugen und Gebären“ reduziert wird? Ist es dann nicht nachvollziehbar, wenn die Geburtenrate in Deutschland mit 1,36 weiter unterhalb des EU-Durchschnittes von 1,6 bleibt und die Bürger hierzulande mit dem oberflächlichen Argument „zu teuer“ schlicht die Kinder-Produktion auf ein Minimum reduzieren?

„Geld“ ist nach Maslow (Bedürfnispyramide) nur ein Hygienefaktor, kein Motivator. Spielt hier nicht vielleicht auch eine mangelnde gesellschaftliche Anerkennung der Elternrolle und das bewusste Herausnehmen aus der Erziehungsverantwortung eine Rolle?

Wollen alle Eltern den bildungspolitischen Weg in die Ganztagsbeschulung mitgehen, den Dr. Norbert Blüm in DIE ZEIT 2012 als den „schulischen Imperialismus“ bezeichnet hat?

Die Schule entwickelt zusehends einen ehrgeizigen Expansionsdrang, für alles zuständig zu sein, was das Leben an Aufgaben den zukünftigen Erwachsenen abfordern könnte. Deshalb weitet sich der schulische Lehrplan ständig aus. Denn die moderne Schule traut sich anscheinend zu, die zukünftige Gesellschaft sowohl ab- als auch auszubilden. Für diese Anmaßung muss sie freilich zuvor die ganze Kinderzeit beschlagnahmen.

Inzwischen ist die Schule nicht nur zuständig für ihre eigenen traditionellen Felder, sondern bietet zudem allerlei prophylaktische Lebenshilfen an wie etwa Verkehrserziehung, Ernährungskunde, Kochunterricht, Medienpädagogik, Kommunikationstechniken, Umweltschutz inklusive Entsorgungsfragen, Meditations- und Selbsterfahrungstraining, Verbraucherberatung, Integrationskurse, Erste Hilfe, Bastelei, Tourismusprojekte, Projekte je nach Vorliebe des Schulkollegiums. Die Schule saugt auf diese Weise alle Aktivitäten auf, die früher außerhalb von ihr, nämlich in Familie, Vereinen und unter Freunden, initiiert wurden. So trocknet der Raum zwischen Individuum und Staat aus. In diesem Zwischenraum war aber von jeher der Widerstand gegen totalitäre Vereinnahmung lokalisiert, weshalb alle Diktatoren diese intermediären Widerstandsnester aus dem Weg zu räumen versuchten, um ihr Feld so zu planieren, dass es von der konturlosen Masse und deren Bewegungen besetzt werden konnte. In diesem Vorhaben unterschied sich Robespierre nicht von Hitler und Stalin.“ (Zitat: Dr. Norbert Blüm)

Veröffentlicht von

Dr. Kai Pöhlmann

Dr. Kai Pöhlmann ist Inhaber der ABACUS Nachhilfe Institute Hamburg und Kreis Pinneberg und Gründer des ersten ABACUS-Nachhilfeinstitutes nördlich der Isar. Google+

3 Gedanken zu „Der Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schule und Eltern? Eine Glosse“

  1. Sehr interessante und informative Einblicke in eine doch andere „out of the box“ Denkweise zum Thema GG. Es stimmt tatsaechlich, es wurde ja nicht vom Volke zu diesem Thema abgestimmt. Mir hat auch das Maslow-Beispiel sehr gut gefallen (Stichwort Maslow-Pyramide).

Schreibe einen Kommentar