Mathe Nachhilfe: Respekt vor der Zahl PI?

Vor geraumer Zeit wurde ich wieder einmal in der Nachhilfe mit dem Unbehagen über die Zahl PI (π) konfrontiert:

Eine Schülerin, die sich im Mathematikunterricht aktuell mit der Geometrie des Kreises beschäftigen musste, klagte mir ihr Leid: „Das mit dem PI verstehe ich nun überhaupt nicht!“. Diese Klage scheint mir symptomatisch für die Beziehungen von Lernenden insbesondere im Fach Mathematik gegenüber dem zu erlernenden Stoff zu sein. Selbst da, wo überhaupt kein Anlass zu Verständnisproblemen gegeben ist, stellen sich Sorgen und Kummer ein.

Bei der Zahl PI liegt es vielleicht daran, das es eine so genannte irrationale Zahl ist. Wer beschäftigt sich in unserer weitgehend vernunftgeprägten Welt schon gerne mit irrationalen Dingen und Begriffen. Die Zahl PI begegnet uns überall dort, wo es um die Geometrie des Kreises und daraus abgeleiteter mathematischer Zusammenhänge geht. Sie ist schlicht und ergreifend eine Mathematische Konstante, also eine Naturkonstante. Schon in vorgriechischer Zeit wusste man, dass die Fläche des Kreises proportional zum Quadrat des Kreisdurchmessers ist. Die Zahl PI ist der feste Zahlenfaktor, der diese Proportionalität zu einer Gleichung macht.

Die wirklichen Schwierigkeiten, die es mit der Zahl PI gegeben hat, nämlich die Bestimmung des Zahlenwertes in hinreichender Genauigkeit, was die Anzahl der Stellen nach dem Komma anbetrifft, haben andere kluge Köpfe lange vor unserer Zeit erledigt.

Der griechische Mathematiker Archimedes von Syrakus, nachdem diese mathematische Konstante gelegentlich auch genannt wird, wusste noch nicht, dass es sich um eine irrationale, also in keinem Stellenwertsystem vollständig darstellbare Zahl handelt. Dennoch gelang es ihm schon im dritten vorchristlichen Jahrhundert, die Zahl bis auf zwei Stellen nach dem Komma abzusichern, wobei er bei seinen Abschätzungen den Kreis durch Vielecke annäherte.

Danach bewegte sich Pi in den Grenzen: 3,1408 < π < 3,1428. Im Laufe der Zeitgeschichte hat die Zahl PI viele Wissenschaftler fasziniert und dazu animiert, an der Entwicklung der Stellenzahlen nach dem Komma mit raffiniertesten Methoden weiter zu arbeiten. Im Jahre 1949 kannte man 11 Hundert Stellen nach dem Komma, 1969 waren es schon ca. 100 Tausend, und nach neuesten Berichten sind 5 * 10 hoch 12 Stellen errechnet. Die brauchen wir sicher weder in unserer schulmathematischen Praxis noch bei der Lösung üblicher Ingenieursaufgaben... Es gibt nach alledem nicht den geringsten Grund, sich um die Zahl PI Sorgen zu machen. Wenn sie uns in einer Formel begegnet, zum Beispiel bei der Volumenberechnung eines Kreiskegels, dann setzen wir sie mit einem Zahlenwert ein, der uns zugänglich ist. Den Schülern ist im Allgemeinen zur Lösung derartiger Aufgaben die Benutzung eines mathematischen Taschenrechners gestattet. Dort zum Beispiel können wir die Zahl PI durch Tastendruck in einer Stellengenauigkeit abrufen, die unsere Bedürfnisse in jeder Hinsicht bei weitem übersteigt (beispielsweise 3,141592654). Der bekannte Mathematiker und Ingenieur Istvan Szabo, langjähriger Ordinarius für Technische Mechanik an der Technischen Universität Berlin (1948 bis 1975) und Autor vieler bekannter Bücher zum Thema Mathematik und Technische Mechanik, war ein großartiger Lehrer und darüber hinaus ein sehr humorvoller Unterhalter. Er liebte es, gelegentlich seine Zuhörer im Kolleg durch humorige Einlagen zum Schmunzeln und Lachen zu bringen und damit wieder fit zu machen für die nächste Runde zum Thema "Theorie des Balkens". Die Zahl PI hatte für ihn eine besondere, humorvolle Bedeutung: Er verwendete sie, um eine Rangordnung unter den verschiedenen Ingenieurswissenschaften herzustellen. Dabei ordnete er deren Bedeutung nach der Anzahl der Nachkommastellen der Zahl PI, die die Ingenieure der jeweiligen Wissenschaftssparte bei ihren Berechnungen verwenden. Die Bauingenieure standen da nach seiner Ansicht auf Platz 1, Elektrotechniker und Maschinenbauer sah er mehr im Mittelfeld angesiedelt, und als Schlusslichter in dieser Reihe rangierten die Architekten. "Die rechnen mit 3,0" so beendete er schmunzelnd diesen Spaß. Also doch Respekt vor der Zahl PI? Doch wohl bestenfalls im Sinne dieses Scherzes, ansonsten besteht für uns Anwender dieser Naturkonstante kein Anlass dazu.

Veröffentlicht von

Hensel

Prof. Dr. Wilfried Hensel, TU Berlin. 30 Jahre naturwissenschaftliche Lehrerfahrung

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