Lernen & Wissensvermittlung in Corona-Zeiten

Nach den Frühjahrsferien wurde an den Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein der Präsenzunterricht in den bisherigen Klassenverbänden Corona-bedingt zunächst eingestellt. Die für das 2. Halbjahr eigentlich vorgesehenen Lernfelder sollten nun den Schülern durch das Lehrpersonal auf Grund des fehlenden Präsenzunterrichtes mittels „Fernunterricht“ nahegebracht und vermittelt werden, ein einheitliches Konzept hierzu war weder vorhanden, noch wurde es im Laufe des „Schul-Shutdowns“ implementiert. Die Schulbehörden beider Länder führten aber zumindest die anstehenden Abschlussprüfungen durch und begannen gegen Ende des Schuljahres auch wieder sukzessive und selektiv mit eingeschränktem Präsenzunterricht.

Im Wesentlichen blieb es in der unterrichtsfreien Zeit der Kreativität der jeweiligen Schulen & den Fachlehrern überlassen, wie hier die Lernfelder dargeboten wurden und wie Kontakt, Kontrolle und Feedback / Rückmeldungen an die Schüler erfolgte.

Leistungsabfragen und Leistungsbenotungen fanden in der Coronazeit bis zum Sommer in der Regel nicht statt, teilweise wurde dieses den Lehrkräften auch gezielt untersagt. Allenfalls positiv sollte Engagement der Schüler während der Coronapause in die Notengebung einfließen.

Im August nach den Sommerferien wurde der Präsenzunterricht unter den entsprechend geltenden Sicherheits- und Hygienemaßgaben dann wiederaufgenommen. Noch nicht im wirklichen Vollunterricht wie zu Vor-Corona-Zeiten, aber ein Anfang ist zumindest wieder gemacht.

Welche Lernfolgen hat die de facto ja 6 Monate (!) „schulfreie Zeit“ von Anfang März bis Anfang August bei den Schülern der Metropolregion Hamburg? War der während der Schulschließung praktizierte „Fernunterricht“ unter dem Aspekt der Wissensvermittlung und des Lernerfolges sinnstiftend? Nach den ersten vier Wochen im neuen Schuljahr ist unser Eindruck, dass die Wissenslücken gerade in den sogenannten Treppenfächern, in denen Fachwissen aufeinander aufbaut, bei vielen Schülern doch beträchtlich sind. Ebenso scheint die Fähigkeit zum „individuellen und autodidaktischen Lernen“ eher gelitten zu haben, als dass sich diese – wie ja zu erwarten gewesen wäre – verbessert hätte.

Welche Gründe könnte das haben?

Die Fachlehrer haben doch „Fernunterricht“ gegeben, besonders engagierte Lehrer und Lehrerinnen hatten – trotz ungeklärter Datenschutz-Rechtslage, teilweise über Verbote hinweg – mittels frei erhältlicher Videokonferenzportale – ihre Schüler zumindest stundenweise virtuell unterrichtet. Viele haben den Schülern per E-Mail Aufgaben zukommen lassen oder Arbeitsaufträge erteilt. Lehrer und Lehrerinnen, welche nicht über digitale Kanäle mit Ihren Schülern kommunizieren konnten (oder wollten), haben zumindest teilweise Arbeitsmaterialien in den Schulgebäuden zur Abholung für die Eltern bereitgestellt.

Einige verortete Ursachenfelder mal im Anriss, ohne deklamierten Anspruch auf Vollständigkeit:

Viele Familien leben in Wohnungen und Häusern, die (naturgemäß) selten über separate Arbeitszimmer verfügen. Außerdem wechselten viele berufstätige Eltern Coronabedingt ebenfalls ins sogen. „Home-Office“. Viele Kinder- und Jugendzimmer haben heutzutage keine Schreibtische mehr.

1) Die häusliche Facette:

So ein Küchentisch ist sicher ein schöner Ort für familiäres „Come-together“ – bietet dann aber häufig schon ab zwei Personen eine nicht allen Bedürfnissen gerecht werdende optimale Lern- und Arbeitsatmosphäre: Wenn die Dame des Hauses sich auf den von Ihr zu erstellenden Projektplan am Laptop konzentrieren soll, Papa zeitgleich gerade eine Videokonferenz abhält und die Kinder sich mit der letzten Mathe-E-Mail plagen und der Mama noch gelegentliche Verständnisfragen stellen. In vielen Familien mussten von den Erziehungsberechtigten dann unter Umständen auch noch nicht schulpflichtige Geschwister beaufsichtigt werden – denn auch die KiTas waren ja nur für Notbetreuungen offen.

2) Die Facette der Lehre:

Viele Lehrer verfüg(t)en ebenfalls nicht über die unter 1) beschriebene technische Grundausstattung – die Schulbehörden haben zu Beginn der Schulschließungen für das „Lehrer-Homeoffice“ keine Dienstgeräte ausgegeben. Ebenso verfügen Schulen selbst nicht immer über ausreichende Geräte: Sich auf validem technischen Standard befindende, funktionale Personal-Leihgeräte oder stationäre Computerräume mit PC’s auf aktuellem Softwarestand und optimaler Netzanbindung sind an Hamburger Schulen nicht wirklich flächendeckend vorhanden gewesen. Auch fehlt bei vielen, auch jüngeren Lehrkräften schlicht digitales Basiswissen und entsprechende Kompetenz. Neben den vielen hochengagierten Lehrkräften, die ihr privates digitales Equipment zu Hause nutzten und auf eigene Kosten aufstockten, die mit Ihren Schülern auch regelmäßig wöchentlich den Kontakt zumindest über Telefonie, Videochat oder E-Mail suchten und hielten, gab es leider auch eine nicht ganz unbedeutende Anzahl, welche dieses nicht gewährleisteten – aus welchen Gründen heraus auch immer. Viele willige Pädagogen scheiterten in Hamburg auch zunächst am digitalen schulischen Zugangs- und Kommunikationsportal „eduPort“: Anfänglich standen entsprechende (Server- und Speicher-) Kapazitäten für die vermehrten Zugriffe gar nicht bereit. Ein (einheitliches) Konzept für Fernunterricht, welches Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung regelte & überwachte, lag unserer Kenntnis nach nicht vor: „Selbstverwaltete Schule“, welche in Konnotation auch gewollt die Autarkie der jeweiligen Lehrkräfte stärkt, führt dann in Kausalverknüpfung zu weniger Supervision und detaillierten Vorgaben. So hat jede Schule und jeder Lehrer dann natürlich versucht, „das Beste“ aus der präsenzunterrichtslosen Zeit zu machen…

3) Die Facette der Schüler

Lerntheorien und Empirie divergieren bekanntlich gelegentlich. Dass Schüler gerne alles lernen, ist eine wohl doch sehr euphemistische und pauschale Sicht auf die Dinge. Mit extrinsischen Maßnahmen kann intrinsische Motivation, welche dann in weiteren Schritten vielfach auch zu Selbstlernprozessen und daraus resultierendem, emanzipatorischem Erkenntnisgewinn führt, erzeugt werden. Das gelingt umso leichter, je eher praktische Bezüge und Lebenskorrelationen hergestellt werden können. Unterstützen können auch Gruppenkohäsion und damit sich gegebenenfalls ergebende Synergieeffekte in Gruppen-Lernsituationen. Der Mensch ist eben per se kein Eremit, sondern ein hochsoziales Wesen, welches auf die Rückkoppelung mit anderen Menschen, gerade in Lern- und Arbeitssituationen, angewiesen ist. Hattie hat schon in seinen ersten Studien „Feedback“ als eines der entscheidenden Wirkmechanismen für erfolgreiches schulisches Lernen herausarbeiten können.

Der seit 2018 übrigens in den weiter fortgeführten Hattie-Studien über Einflussgrößen und Wirkfaktoren schulischen Lernens mit Abstand an der Spitze rangierende Wirkfaktor ist „Collective Teacher Efficacy“: „Collective Teacher Efficacy is the collective belief of teachers in their ability to positively affect students. With an effect size of d=1.57 Collective Teacher Efficacy is strongly correlated with student achievement.”
(vgl.: https://visible-learning.org/hattie-ranking-influences-effect-sizes-learning-achievement/)

„Verschlagwortet“ wäre also die [Arbeits-]Motivation der Lehrer für den Lernerfolg des Schülers der signifikanteste Faktor: „In Dir muss brennen, was Du in anderen entzünden willst!“ (Aurelius Augustinus). Individualisiertes, selbstverantwortetes Lernen wäre dann allenfalls ein Folgeprozess hieraus.

Unstreitig ist sicher, dass der ausgesetzte und bis heute eingeschränkte Präsenzunterricht hier die jeweiligen Lehrer-Schüler-Kontakte in der Häufigkeit signifikant begrenzt und leider eben auch oft auf einen einzigen medialen Kanal reduziert hat. Rückmeldungen zu erbrachten Leistungen erfolgten nicht überall in für jeden Schüler erforderlichem Umfang: Montags eine Rundmail mit Mathe-Aufgaben zu versenden und Mittwoch den Lösungsbogen hinterher, ist nun nicht unbedingt ein klassisches, pädagogisch valides „Feedback“ im Hattie’schen Sinne. Ebenso wenig taugt hierfür die Arbeitsanweisung „Lest mal dieses oder jenes Buch“, wenn hierzu dann keine Leistungsabfrage und individualisierte Erfolgsrückmeldung kommt.

Veröffentlicht von

Dr. Kai Pöhlmann

Dr. Kai Pöhlmann ist Inhaber der ABACUS Nachhilfe Institute Hamburg und Kreis Pinneberg und Gründer des ersten ABACUS-Nachhilfeinstitutes nördlich der Isar. Google+

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